Pförring
Geheimnisvolle Pförringerin

09.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr
So lag die Tote in dem frühchristlichen Grab bei Pförring – der Schädel ist durch den Erddruck – möglicherweise verursacht von landwirtschaftlichen Geräten – eingedrückt. Um die Hüfte war ein Band mit Amuletten geschlungen, die über dem linken Oberschenkel der Verstorbenen lagen. −Foto: Repro: Richter/Foto: Pro Arch

Pförring (PK) Archäologen fanden das Grab einer jungen Frau aus dem fünften Jahrhundert nach Christus. Die reichen Beigaben verrieten erst nach langer Recherche, dass es sich um die erste erkennbar frühchristliche Bestattung in Bayern handelt – ein Sensationsfund.

Sie nannten sie „Anna“. Wer auf diesen Namen gekommen war, wissen sie im Landesamt für Denkmalpflege in München nicht mehr genau. Aber es macht die Sache persönlicher, als einfach nur von „der Toten“ zu sprechen; zugleich zeugt es vom Respekt gegenüber der rätselhaften Unbekannten. Archäologen hatten im Mai 2016 das Kammergrab einer jungen Frau aus dem fünften Jahrhundert nach Christus in einem Baugebiet bei Pförring im Kreis Eichstätt entdeckt und schnell erkannt: Das hier ist etwas Einmaliges in ganz Bayern, man darf es ruhig eine archäologische Sensation nennen – nicht im herkömmlichen, heutzutage oft inflationär gebrauchten Sinn. Der Fund samt reicher Beigaben wie Schmuck und Keramik ist tatsächlich ein außergewöhnliches Ereignis. Denn nach mühevollen Recherchen gehen die Fachleute davon aus, dass es sich um das bislang älteste erkennbar frühchristliche Grab im Freistaat handelt.

Es war wohl jemand aus dem Archäologenteam, der „Anna“ bei der Bergung des Funds einen Namen gegeben hat, soviel steht zumindest fest. Eine Baggerschaufel hatte ihre drei mal drei Meter messende Grabkammer bei Straßenbauarbeiten auf der Kanaltrasse im Neubaugebiet „Nordwestlich von Pförring“ aufgerissen. Der Fundort liegt auf der ersten Hochterrasse des nördlichen Donauufers genau in einem damaligen Grenzgebiet – hier hatten die Germanen, auf der anderen Seite des Flusses die Römer das Sagen gehabt. Der Limes, also der Grenzwall, verlief nur etwa einen Kilometer entfernt.

„Das macht die Sache besonders spannend, denn die Bestattung fällt genau in die Zeit zwischen dem Untergang des römischen Kaiserreichs und dem Beginn der großen Völkerwanderung in Europa“, sagt der leitende Archäologe Hubert Fehr, zuständiger Gebietsreferent für Bodendenkmäler in Oberbayern beim bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Eine Epoche, die für die Forscher noch mit vielen Fragezeichen verbunden ist. Kann „Anna“ mit ihren Grabbeigaben ein wenig Licht ins Dunkel bringen? Wie lebten die Menschen damals, als die Römer sich langsam zurückzogen? Das Ende des Kaiserreichs wird auf das Jahr 476 datiert, aber die Macht bröckelte zuvor bereits.

Sechs Wochen lang hatte das Grabungsteam für die Freilegung der Grabstätte gebraucht. Allein die Größe der mittlerweile längst verrotteten, hölzernen Kammer mit einer Fläche von neun Quadratmetern erscheint beachtlich. Farbliche Veränderungen im Boden geben Zeugnis von den Ausmaßen: Die dunklen Flecken entstanden dort, wo die großen Außenpfosten standen, dann gab es noch kleinere Pfosten – „sie gehörten zu einem Zwischenboden oder Bett, auf dem die Tote gelegen ist“, sagt Archäologe Fehr. Eine Bestattung über zwei Etagen sozusagen. „Auffallend ist, dass die Tote nicht mittig in der Kammer lag, sondern seitlich nach Westen hin ruhte, mit dem Kopf nach Norden.“ Das Grab ist reich ausgestattet und durch den Lössboden sehr gut erhalten – und was die Fachleute besonders freut: „Es war nicht wie viele andere von Grabräubern geplündert worden“, sagt Hubert Fehr.

Mehr als 300 Perlen aus Bernstein, Glas und Korallen an mindestens sieben Ketten waren „Anna“ ins Jenseits mitgegeben worden, dazu tönerne und hölzerne Gefäße, ein vollständig erhaltender Glasbecher und ein bronzenes Gürtelgehänge mit etwa 40 verschieden großen Amuletten. Die Tote trug zudem einen goldenen Fingerring mit Glasperle und 16 Beschläge aus vergoldetem Silberblech in zwei Reihen auf ihrer Stirn – offenbar Tierfiguren.

Dieser Umstand barg zur Fundzeit aber das Risiko, dass doch noch jemand auf die Idee kommen könnte, „Annas“ letzte Ruhestätte auszuräumen, bevor die Archäologen ihre Arbeit getan hatten. Grabungsleiterin Vera Planert hatte deshalb während der Bergung ein Zelt dort aufgeschlagen und die Fundstätte bewacht. Pförrings Bürgermeister Bernhard Sammiller kann sich noch gut erinnern: „Sie hat in dieser Zeit praktisch da draußen gewohnt und war mit so viel Herzblut bei der Sache.“ Teilweise im Block, samt der anhaftenden Erde, war das Grab nach München geschafft worden, um alles in Ruhe freizulegen. Sammiller ist sehr stolz auf den Fund auf seinem Gemeindegebiet. „Er sagt uns sehr viel über unsere Vergangenheit und wo wir herkommen. Die reichhaltige Ausstattung lässt außerdem darauf schließen, dass man in unserer Gegend schon immer gut leben kann.“ Sammiller findet nicht zuletzt interessant, dass „Annas“ Grab aus der Zeit der Völkerwanderung stammt. „Es hat also schon damals Flüchtlinge gegeben, und trotzdem ist es den Menschen nicht schlecht gegangen, wie man sieht.“

Die Gemeinde Pförring hat nicht nur die rund 60 000 Euro aufgebracht, um den Fund zu bergen, sondern zahlt weitere 50 000 Euro für die wissenschaftliche Aufbereitung. Gut angelegtes Geld, wie der Bürgermeister findet. „Es ist ein Unikum, dass eine Kommune eine Restauratorin beschäftigt.“ Hier kommt Svenja Kampe ins Spiel. Die junge Frau ist seit etwa einem Jahr mit viel Liebe zum Detail dabei, alle Stücke von Erdresten zu befreien und aufzubereiten. Im Projektraum der Alten Münze in München, wo das bayerische Landesamt für Denkmalpflege residiert, liegen die präparierten Teile feinsäuberlich sortiert aus. Fotos von der Fundstelle hängen an der Wand, ein Stück Pförring in der Landeshauptstadt.

Noch immer gibt es einige ungelüftete Geheimnisse um „Anna“, ihr Leben und ihr Sterben. Mit ihren 1,70 Metern war sie für ihre Zeit auffallend groß und wohl ein Mitglied der Oberschicht. „Ich bin der Meinung, dass die 20 bis 25 Jahre alte Frau wohl zwischen 420 und 450 nach Christus gestorben ist“, sagt der Archäologe Fehr. „Wir haben einen Teil ihres Kiefers nach Oxford geschickt, um das über eine Isotopenuntersuchung einzugrenzen.“ Wird sich die Todesursache klären lassen? Ein schwieriges Unterfangen, „von den Knochen her lässt sich nichts feststellen“. Deutet der eingedrückte Kopf auf eine Gewalttat hin? „Ich glaube nicht, dass ihr jemand den Schädel eingeschlagen hat, das sieht anders aus“, sagt Svenja Kampe. Sie und die anderen im Team vermuten ein landwirtschaftliches Gefährt und den Erddruck als Ursache für die Deformation. Die Restauratorin hat das Felsenbein, den härtesten Knochen im Körper eines Menschen, für eine spätere DNS-Untersuchung gesichert.

Ähnliche Bestattungsformen kennen die Archäologen nur aus Laufen am Neckar und aus Schleitheim im schweizerischen Kanton Schaffhausen. „Es folgt also einem Ritual, passt aber zu keinem uns bekannten Volk“, sagt Hubert Fehr. Die 16 Tierfiguren auf der Stirn brachten ihn schließlich darauf, dass „Anna“ wohl als Christin gelebt hatte. „Es handelt sich um rückwärts blickende Lämmer mit langem Schwanz und nicht naturnah dargestelltem Fell, wie wir sie in Darstellungen der frühen Christenzeit oft finden.“ Die Mischung der Grabbeigaben aus römischen und lokalen Stücken gibt den Experten noch Rätsel auf. War die junge Frau eine Hiesige oder gehörte sie zu den Römern? Oder stammte sie von dem einen Donauufer und hatte einen Partner von der anderen Seite? "Wir wissen es nicht", sagt Fehr. "Annas" Erbe bleibt also weiter überaus spannend.