Ingolstadt
Gegen den Kapitalismus

Jugendclub in Ingolstadt: "bigMINIMAL" ist eine packende Performance

17.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:27 Uhr

Ingolstadt (DK) Wie viele Kleidungsstücke haben Sie in diesem Jahr schon gekauft? Wie viele gute Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum im Müll entsorgt?

Mit diesen und weiteren Fragen hat der Jugendclub I des Stadttheaters seine Zuschauer bei den Vorführungen von "bigMINIMAL" konfrontiert. "Fridays for Future" - die Demos von Schülern und Studenten für den Klimaschutz - sind mittlerweile jedem Erwachsenen ein Begriff. Doch hier stellen die Jungschauspieler in ihrer knapp einstündigen Performance nicht nur Forderungen, sondern dokumentieren ehrlich und reflektiert ihr eigenen Erfahrungen zum Thema "Minimalismus". Unter der Leitung von Kathrin Lehmann und Linda Thaller verwandeln sich die Jugendlichen von Konsum-Opfern zu verantwortlichen Bürgern.

Zuvor wummert elektronische Musik in den Ohren. Die gräulich-monoton gekleideten Figuren irren herum, zahlreiche Einkaufstaschen hängen an ihren Handgelenken, irgendwann überfluten sie den Bühnenboden mit ihren Taschen aus den großen Warenhäusern. Währenddessen starren sie auf ihr imaginäres Smartphone, hauen auf Tastaturen ein und sinken dann zu Boden. Ein rastloses Treiben bis zum Herzinfarkt, um dann erneut aufzuerstehen und der Religion des Konsums weiter zu frönen. Bloß nicht auffallen! Die Musik wird lauter, wilder, bis zur Unkenntlichkeit. Ein großer Knall und der Wahnsinn hat ein Ende. Zurück bleibt nur die versöhnliche Melodie eines Saxofons. Es wird Zeit aufzuräumen.

Aufgeräumt wird mit den menschlichen Umweltsünden: Wer bekommt die teuersten Weihnachtsgeschenke? Wer hat die neuesten Klamotten? Wer grillt das dickste Stück Fleisch, eingepackt in Unmengen von Plastik? Die schöne neue Welt. Doch eigentlich wollen die Jugendlichen nur Mensch sein, sehnen sich nach Entschleunigung. Gefühlvolle Slam-Poetry und Tonspuren, aufgenommen im Trubel der lärmenden Stadt, sind der moderne Hilfeschrei der jungen Menschen.

In paillettenbesetzten Fracks erzählen sie die "die wahre Geschichte der materiellen Güter". Wie dressierte Tiere befinden wir uns in der Manege der Warenwirtschaft. Umweltflüchtlinge, Verschmutzung von tierischen Lebensräumen oder ein Leben über den eigenen Bedürfnissen? Who cares? Wird es zu düster, wird ein bisschen Glitzer in die Menge gestreut, schon sind die Kritiker ruhiggestellt.

Doch was sind die Alternativen? Foodsharing, Einkauf auf dem Wochenmarkt oder im Unverpackt-Laden, Tauschbasar und Reperatur-Café. Alles schön und gut, doch zu umständlich, zu zeitaufwändig oder wie im Fall des Containerns, bei dem man gute Lebensmittel aus den Mülltonnen der Supermärkte holt - illegal. Die Welt vor dem Kollaps retten ist aber auch schwer.

Die Performance beginnt und endet mit einem Schattenspiel. Ist die Menschheit nur noch ein Schatten ihrer selbst? Die schwarzen Figuren stellen fest: "Es beginnt mit mir." Ein Satz, versehen mit der Hoffnung, dass jeder Zuschauer nun mit seinem eigenen ganz persönlichen Minimalismus-Projekt beginnt. Zu wünschen wäre es dem Jugendclub I nach dieser starken Performance.

Mit erhobenem Zeigefinger stehen sie da, machen sich über die Konsumgesellschaft lustig, aber haben sich die Schauspieler eigentlich schon einmal selbst vom Kapitalismus frei gemacht? Ja, sie fahren Fahrrad statt Bus, verzichten zwei Wochen auf Zucker oder fasten für fünf Tage, sortieren Kleider aus oder schlafen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Freien. Frei nach dem Motto "Sei nicht wie alle".
 

Katharina Wirtz