München
Gefesselt vom Ornament

So schräg ist der Münchner Jugendstil: Im Stadtmuseum wird der originelle Maler Carl Strathmann endlich wiederentdeckt

18.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:17 Uhr
  −Foto: Münchner Stadtmuseum

München (DK) Dieser Medusa will man nicht im Dunkeln begegnen.

So grausig glühen die blutunterlaufenen Augen. Bei näherer Betrachtung schaut die Gorgonen-Dame dann eher entnervt aus, sie muss schließlich den Job ihrer Schlangen übernehmen, die nur dekorativ in der Kurve hängen. Aber das ist typisch für den Münchner Jugendstilmaler Carl Strathmann (1865-1939). Greift er zu gewichtigen Motiven, dann wird der heilige Ernst mindestens im Detail unterlaufen: Bei der Vogelpredigt des Franziskus ist ein Storch schon eingenickt. Und Tod und Teufel marschieren - ziemlich frei nach Dürer - hinter einem schwer gerüsteten Ritter, als würde der einen Faschingszug in die nächste Dorfdestille führen.

Die Kunst des Carl Strathmann ist unterhaltsam, humorvoll und skurril. Wer seine großformatigen Historienbilder mit fatalen Frauen wie der Schlangenbraut "Salambo" kennt oder vielleicht noch die Blumenstillleben und späten Kitsch-Landschaften, wird überrascht sein. Denn das Münchner Stadtmuseum zeigt mit fast 150 Objekten sämtliche Facetten dieses ?uvres. Endlich. Seit 1964 besitzt das Haus den Nachlass, und man fragt sich in einer Tour, wie dieser originelle Künstler einfach so ins Abseits rutschen konnte - gerade in der Stadt, die 50 Jahre lang Strathmanns Heimat war.

 

 


Der elegante Bonvivant, den sein enger Freund Lovis Corinth 1895 porträtiert, passt aber auch in keine Schublade: Für den Jugendstil und erst recht den Symbolismus ist er im Grunde zu amüsant und für den Surrealismus zu früh geboren. Doch der Sohn eines Düsseldorfer Großkaufmanns muss nicht wirklich arbeiten und darf sich an der Kunstakademie seiner Geburtsstadt und in Weimar ausprobieren. Viel mehr steht ihm allerdings der Sinn nach Partys und prickelnden Getränken. Die Sektflaschen, die in seinen Bildern auftauchen, kommen nicht von ungefähr. Und die launige Postkarten, die er und Corinth wechseln, werden flott mit "Prost! " unterzeichnet.

Der Ehrgeiz gehört jedenfalls nicht zu den Begleitern des geselligen Herrn Strathmann. Dabei zeugen Aktzeichnungen und Alt-Meister-Kopien aus Studententagen von einigem Talent. Doch der scheinbar so arbeitsscheue Maler, der Arnold Böcklin und Max Klinger verehrt, entwickelt eine erstaunliche Marotte: Er übersät die Leinwand mit Ornamenten. Florale Formationen und stilisierte Wasserpflanzen wuchern durch die Szenen, und Girlanden, Netze und Tüpfeleien sind bis in mikroskopische Winzigkeiten hinein akribisch ausgeführt. Ob er nun die Danaë (1908) im Goldregen oder die später im Zweiten Weltkrieg zerstörte Salome (1903) malt, ob er eine Maria zwischen dornigen Ranken beten lässt (1896) oder Frauen im Stil von Belle-Époque-Plakaten porträtiert. Man wird sowieso den Verdacht nicht los, die durchaus zeitgemäßen Bildmotive sind für Strathmann bloß ein Vorwand, sich wieder in endlosen Fieselarbeiten zu verlieren. Und prächtig soll es sein, deshalb klebt er schon mal schimmernde Steine und Goldplättchen auf seine Gemälde. Dieser Hang zum Kunstgewerblichen und Dekorativen stößt freilich auch auf Unverständnis. "Die große Begabung" vergeude ihr Talent mit dem Zeichnen "unendlich kunstvoller Spinngewebe", schreibt der Kritiker Karl Scheffler 1900 zur Einzelausstellung im renommierten Berliner Kunstsalon Paul Cassirers. Und bei der zweiten Schau schimpft ihn Scheffler gleich noch einen Juwelier und Tapezierer. Strathmann kontert nicht, und er bringt sich auch nie in Debatten ein. Dabei ist er Mitglied in zahlreichen Künstlervereinigungen, in denen um Neues gerungen wird, und er kennt jeden in der Szene, von Wassily Kandinsky, der ihn in der Phalanx präsentiert, bis zu Th. Th. Heine und Peter Behrens.

 

 



Strathmann werkelt lieber still vor sich hin und trifft die Kollegen abends beim Wein. Sein Samurai, der im "Delirium" weiße Mäuse mit dem Schwert bekämpft, ist die pure Selbstironie. Doch dieses feine Schäumen nimmt ein schleichendes Ende. Mit dem Weltkrieg und den Wirtschaftskrisen der 1920er-Jahre verliert Strathmann sein Vermögen. 1934 muss er das Atelier aufgeben, und seine Frau Elisabeth bittet im Kultusministerium um Erhöhung der Künstlerpension.

Was der 70-Jährige von den braunen Machthabern gehalten hat, ist mit keiner Zeile überliefert. Seine Kunst interessierte auch keinen mehr, und selbst bei der Wiederentdeckung verschiedener Jugendstilmeister wurde Strathmann großzügig übersehen. Dass Kurator Nico Kirchberger nun fliehende Froschkönige und gestresste Medusen ans Licht befördert, ist also höchst erfreulich.

"Jugendstil skurril. Carl Strathmann", bis 22. September im Münchner Stadtmuseum, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Katalog (Wienand) 29,90 Euro im Museum.
 

Christa Sigg