München
Gedichte ohne Worte – wie geht das?

"BÄÄM! Der Deaf Slam": Der bundesweite Poetry Slam in Gebärdensprache war in München zu erleben

21.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:21 Uhr

Reisen zum Finale nach Hamburg: Die Slammer des „Team Bass“ (Rupert Schmidlechner, Kassandra Wedel, Margarita Fagafurova, Nur Beysun) wurden mit einer Tanz-Performance Sieger des Abends. - Foto: Keitel

München (DK) Still ist es hier. Dabei sind es so viele Leute, die da im Vorraum des Kinos anstehen – und sie unterhalten sich auch angeregt. Sie gebärden ausführlich, lachen lautlos, kommunizieren über weite Distanzen miteinander, irgendwo purzelt ein Kind herum, mit einem gut sichtbaren Hörgerät hinter den Ohren – eine Parallelwelt.

Im Münchner Kino Monopol findet gerade der Poetry Slam für Gehörlose statt. Hörende sind in der Minderheit, stehen abseits dieser wogenden Menschenmenge mit ihren sprechenden Händen und erleben „Inklusion“ einmal anders herum. Das fühlt sich an wie Alleinsein in einem fremden, schönen Land.

Dann aber, im Kinosaal, gibt es kaum Unterschiede zu jedem anderen Poetry Slam: 17 Teilnehmer treten in elf Szenen als Einzelkämpfer oder in Teams an. Jeder trägt nun seine vorbereitete Sequenz vor – aber natürlich gebärdet, nicht gesprochen! Diskret dolmetschen zwei Herrn aus der ersten Reihe über Mikrofon.

Das funktioniert so ähnlich wie Untertitel im Film – man hört mal mehr, mal weniger hin, Mimik, Körpersprache und Erscheinung der Auftretenden sind viel wichtiger.

Einige Szenen hinterlassen starken Eindruck und natürlich spiegeln sie auch die Lebenswelt von Gehörlosen. So tritt Hans Busch (60) mit seinen Gedanken zu „Der taubstumme Tisch“ auf, der so manches Geheimnis mithört und doch für sich behalten muss. „Niki“ (Tanja Plankensteiner) überzeugt in einer energiegeladenen körperchoreografischen Arbeit mit dem Wochenbericht einer Taubstummen-Dolmetscherin – übrigens ist sie selbst hörend, lässt sich für ihren Slambeitrag aber dolmetschen wie die anderen auch.

Als Tribut an die Künstler wird an diesem Abend nicht geklatscht. Eine händeschwingende Geste drückt den Grad der Publikumsbegeisterung aus.

Wie auf anderen Slams gibt es Requisiten- und Kostümverbot – Ziel ist die Reduktion auf das Essenzielle. Wer aber die Gebärdensprache für eine Art Notbehelf hielt, wie etwa das Gefuchtel und Gestotter, mit dem man sich in einem fremden Land beim Einkauf an der Käsetheke behilft, der wird durch die Simultandolmetscher bald eines besseren belehrt: Es ist ein komplexes Zeichensystem, so schnell und voller Meta-Ebenen wie gesprochene Sprache und für komplexe Themen durchaus geeignet.

Angela Merkel oder Aristoteles kommen vor, aber auch die klassischen menschelnden Themen zwischen Liebe und Einsamkeit, dazu einige Betrachtungen zu Umweltproblemen.

Wie bei anderen Veranstaltungen gibt es auch hier Anfänger und Profis, witzige oder eher elegische Vorträge, solche, die Ausrufezeichen setzen oder auch Fragezeichen hinterlassen – und manche, die man gleich wieder vergessen hat.

Es moderieren Wolf Hogekamp, einer der Väter des Slammens in Deutschland und der Berliner Gehörlosenlehrer Andreas Costrau, die den Workshop geleitet haben und die sichtlich mit großer Empathie die Bühnentaufe ihrer Schützlinge begleiten. Sie küren am Ende auch anhand des Applausometers den Beitrag, der nach Hamburg zum Finale reisen darf: Das „Team Bass“, vier junge Leute zwischen 15 und 28 Jahren, hat das Publikum mit einer flotten Choreografie überzeugt, die nur eine Botschaft hat: Auch Gehörlose können tanzen, sie fühlen den Beat und sind – hier wie anderswo – so taktsicher, wie man es manchem Hörenden wünschen kann. Mit dem gebärdeten Ausruf „Yes we can!“ endet diese Performance – und das wäre auch kein schlechtes Motto für den ganzen Abend gewesen.

Das Finale des Wettbewerbes „BÄÄM! Der Deaf Slam“ findet in Hamburg am 13. April um 20 Uhr statt. Das Filmfestival „überall dabei“ gastiert in München vom 25. April bis 1. Mai im Münchner Kino Monopol. Mehr Informationen gibt es unter www.aktion-mensch.de.