"Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht"

20.05.2008 | Stand 03.12.2020, 5:54 Uhr

Als erste Ingolstädter Bürgerin empfängt Gertrudis Trost alias Stadtführerin Roswitha Wack die Besucher dieser Führung der besonderen Art. Hier geht es um die Ingolstädter Frauen. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) So richtig brav können sie nicht gewesen sein, die Frauen, die in oder mit Ingolstadt Geschichte geschrieben haben wie Marieluise Fleißer oder Mary Shelley. Die Stadtführung der besonderen Art ist noch nicht einmal zur Hälfte beendet, da fallen die ersten Regentropfen.

Der Wettergott – die Theologen mögen die Bemerkung verzeihen – ist eben doch ein Mann. Und gestern geht es bei dieser über zweistündigen Führung durch die Ingolstädter Stadtgeschichte ausschließlich um Frauen. "Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht", lautet der Titel der Führung, die gestern für geladene Gäste Premiere hatte und ab 1. Juni fest ins Programm der Tourismus- und Kongress GmbH aufgenommen werden soll. Vorgestellt werden bei diesem Epochen übergreifenden Stadtrundgang nicht nur markante Gebäude, sondern vor allem Edeldamen, Bürgersfrauen und Außenseiterinnen der Gesellschaft.

Sieben Stadtführerinnen der Ingolstadt Tourismus und Kongress GmbH sind in historische Gewänder geschlüpft und erzählen den über 40 Gästen aus ihrem Leben. Mit dabei auch Hedwig Breu, die erste Ingolstädter Stadtführerin. Sie ist auch mit 84 Jahren noch längst nicht zu müde für die fast drei Kilometer lange Tour, die mehrmals quer durch die Altstadt führt. Mit Stoppuhr und Notizblock bewaffnet wird jede Station und jeder Auftritt minutiös dokumentiert. "Das dauert noch zu lang", findet Breu, an einigen Stellen müsse gekürzt werden.

Die etwa zweieinviertel Stunden, am Rathausplatz beginnend über den Herzogsgarten, das Neue Schloss, bis hin zur Anatomie und zur Hohen Schule, vergehen freilich trotz nasskalter Witterung fast wie im Flug. Christine Richter, Renate Zörkler, Roswitha Wack, Ernie Hagen, die die Idee zu dieser ganz speziellen Führung hatte, Marieluise Goerge, Sylvia Schulte und Maria Pilz, die mit einem venezianischen Sonnenschirm dem Regen trotzend durchs Programm führt, haben ganze Arbeit geleistet. Und machen auch als Schauspielerinnen eine gute Figur.

Kommt auf Betonung an

Am Alten Rathaus glaubt man fast noch an ein wenig Sonnenschein, als Maria Pilz die Besucher empfängt. Der Ausdruck Weib an sich sei nicht abfällig, meint sie. Im Mittelalter sei der Begriff für eine Frau normal gewesen, in Bayern sei er "auch heute noch gang und gäbe". "Es kommt auf die Betonung an", sagt sie. "Das ist vielleicht ein Weib" klinge schließlich ganz anders als "mei Weibi".

Das Leben von zwölf Weibern steht denn auch im Vordergrund der Begehung, an der durchaus auch Männer Gefallen finden. Den Auftakt macht die erste Ingolstädter Bürgerin, Gertrudis Trost alias Roswitha Wack. In einem erlesenen, roten Kostüm aus Leinen erzählt sie von sich und ihrem Mann Heinrich Trost. 1250, als Ingolstadt gerade Stadt geworden ist, sind sie die ersten urkundlich erwähnten Bürger. Da geschieht das Unglück, ihr Hof brennt ab, vermutlich, weil ein Mann, der aus der Trinkstube kommt, seine brennende Fackel weggeworfen hat. Die Sitten in der Trinkstube sind alles andere als fein, erzählt sie, und das, obwohl 1250 ein Anstandsbüchlein Benehmen lehren sollte. Etwa, die abgenagten Hühnerknochen nicht in die Schüssel zurückzulegen oder hinter sich auf den Boden zu werfen.

Nächste Station ist der Herzogsgarten. Dort wartet Thaddäa Visconti, Frau des ersten Ingolstädter Herzogs, Stephan der Kneißl. Christine Richter ist in ihre Rolle geschlüpft. "Nach Ingolstadt bin ich gekommen wegen der Liebe", sagt sie als in Pelz gehüllte Italienerin Thaddäa Visconti. Ihr Vater, der Mailänder Herzog Barnaba Visconti, hat da freilich mitgemischt. An Ende gibt sie ein kleines Konzert auf der Blockflöte: "Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht" aus der Operette Die Csardasfürstin.

Im Neuen Schloss wartet mit goldenem Stirnband Laneta Sweher, Mätresse von Ludwig dem Bärtigen, leidenschaftlich und charmant dargestellt von Ernie Hagen. Maria Anna Sybille Leveling, Frau von Professor Heinrich Palmaz von Leveling, erzählt in eleganter schwarzer Robe vor dem Levelinghaus in der Ludwigstraße über ihren Mann, den Medizinprofessor. Sylvia Schulte kommt wenig später in der Anatomie, dem heutigen Medizinhistorischem Museum, als Mary Shelley noch einmal zu Ehren.

Zuvor freilich taucht vor der VHS im schwarzen Kleidchen mit weißem Spitzenkragen Marieluise Goerge in der Rolle der Marieluise Fleißer auf. Sie berichtet unter anderem von Berthold Brecht, der ihr Stück "Pioniere" fürs Theater inszeniert – für sie enttäuschend. Nach einer Sexszene auf dem Friedhof gilt Fleißer als Nestbeschmutzerin.

Nicht fehlen dürfen freilich auch die Schaffnerin der Ingolstädter Pferdetrambahn aus dem Jahre 1878, täuschend echt gespielt von Renate Zörkler, Studentenliebchen Clara alias Roswitha Wack, die Türmerfrau vom Münster, die Marketenderin, die beim Frauenwirt lebt und dort "zu jeder Tages- und Nachtzeit diverse Männerbesuche" empfängt, und natürlich die Henkersfrau Johanna Maria Ritzer vom "Unholdenturm", die vor dem Taschenturm auf die Besucher wartet. "Uns gibt niemand die Hand", sagt sie weinerlich und berichtet von Hinrichtungen und Folter, und ihrem Mann, den Scharfrichter, den sie, wenn er ihr in den Armen liegt, immer trösten muss. Denn "auch Henker können Mitleid empfinden".

Die Tour endet vor der Hohen Schule, in der einst die Universität untergebracht war. Ludwig der Bärtige hat das Pfründnerhaus, in dem 13 Männer und zwei Frau leben, 1434 gebaut. Die Pfründnerin und ihre Betschwester müssen täglich 206 Ave Marie und 206 Vaterunser für den Herzog beten. Denn der hat – wie viele andere Männer, die regelmäßig in den vier Badstuben und anderen nicht immer ehrbaren Etablissements zu Gast waren – Angst vor der Hölle.