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"Für mich ist das absolute Gehör sehr praktisch"

Martin Göbel ist Musiklehrer in Schrobenhausen: Schwierigkeiten hat er beim Übertragen von einer Tonart in eine andere

09.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:20 Uhr

Egal ob Aufzugsignal oder Türglocke: Göbel (48) erkennt jeden Ton. - Foto: privat

Herr Göbel, was stört Sie als Absoluthörer am meisten im Alltag

Martin Göbel: Da stört mich gar nichts. Ich nehme lediglich einen bestimmten Akkord, beispielsweise bei einer Glocke oder einem Aufzugsignal wahr. Das überrascht dann. Es kann auch sein, dass ein Ton den Akkord oder das Intervall total entstellt. So etwas, glaube ich, hört allerdings jeder, dazu braucht man kein absolutes Gehör.

Und wie ist es, wenn Sie Musik machen? Fühlen Sie sich mit ihrem absoluten Gehör im Vorteil?

Göbel: Oftmals ist das absolute Gehör sehr praktisch. Ich muss, wenn ich beispielsweise mit einem Schulchor übe, zum Tönegeben nicht ständig ans Klavier laufen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Sänger ihre Stimme immer in der gleichen Tonart vorgesungen bekommen. Auch wenn der Chor absackt, spüre ich eine andere Färbung des Klanges und kann schnell reagieren. Auf der anderen Seite kann das auch schwierig sein, da ich dann oft sehr empfindlich bin. Oder wenn ich transponieren muss.

Sie können nicht transponieren?

Göbel: Nein, kann ich nicht. Ich muss mir dann jedes Intervall neu denken und versuchen immer ein Stück weit unkonzentriert zu sein, um mein Hintergrund-Absolutgehör ausschalten zu können.

Das heißt, wenn Sie sich konzentrieren, können Sie ihr absolutes Gehör ausschalten oder in den Hintergrund stellen?

Göbel: Genau.

Wie gehen Sie mit verschiedenen Stimmungen um, beispielsweise bei einem Konzert nach alter Aufführungspraxis, wo die Instrumente allgemein tiefer gestimmt werden?

Göbel: Das ist ganz interessant, denn wenn ich das nicht weiß, dann denke ich mir, irgendwas klingt hier anders, und bin verunsichert. Wenn es mir aber bewusst ist, normalerweise erkenne ich ja Barockmusik und sehe, die spielen nach historischer Aufführungspraxis, dann ist das für mich kein Problem.

Wann haben Sie bemerkt, dass Sie das absolute Gehör besitzen?

Göbel: Das habe nicht ich bemerkt, sondern mein Musiklehrer. Der nahm mich eines Tages nach dem Unterricht beiseite und sagte zu mir: Du, pass' auf, ich vermute, du hast das absolute Gehör. Wir haben das dann getestet und herausgefunden, dass seine Vermutung richtig war.

Haben Sie schon einmal erlebt, dass Ihr absolutes Gehör Sie getrügt hat?

Göbel: Ja, zum Beispiel bei einzelnen Tönen bin ich mir oft unsicher. Wenn ich mir dann allerdings einen Akkord anhöre, dann weiß ich wieder, wo ich bin.

Gibt es etwas, bei dem Sie sich mit dem absoluten Gehör im Nachteil sehen?

Göbel: Ja, das ist der Transposer beim Keyboard. Ich habe früher viel Tanzmusik gemacht, da können andere mal so eben Des-Dur erklingen lassen, indem sie C-Dur spielen und den Transposer verwenden. Das kann ich nicht.

Bei manchen Leuten funktioniert das absolute Gehör im Alter ja nicht mehr so gut. Würden Sie es bedauern, wenn Sie Ihr absolutes Gehör verlieren würden?

Göbel: Ja.

Die Fragen stellte

Sophie Beha.

ZUR PERSON: Martin Göbel hört als einziger in seiner Familie absolut. Er studierte Psychologie und Schulmusik. Seit 2001 ist er Musiklehrer am Gymnasium in Schrobenhausen.