Hilpoltstein
Für einen Kuss ist immer Zeit

Frenetischer Jubel beim Startschuss - Athleten brauchen ihre Fans auf jedem Augenblick der Strecke

01.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:36 Uhr

Hilpoltstein (HK) Kein Platz mehr. Kein Einziger. Es ist noch fast eine Stunde bis zum Schwimmstart und auf der Heuberger Kanalbrücke stehen die Fans in Vierer- und Fünferreihen. Wer am Geländer keinen Platz ergattert, klettert auf die Leitplanke zwei Meter dahinter. Und alle warten nur auf eins: Den Startschuss für den Challenge 2018..

"Ich habe meine Mädels heute schon um 4 Uhr aus dem Bett geschmissen, damit wir einen schönen Platz kriegen" sagt eine junge Frau die mit ihren Töchtern am Geländer lehnt. "Jetzt müssen wir aber noch bis um acht warten, bis Papa starten darf." Sie muss ihren Platz mühsam verteidigen, den je näher der Sschwimmstart rückt, umso voller wird es auf der Brücke, umso mehr Fans drängeln sich nach vorne. Schon jetzt werden die Handys gezückt und unzählige Fotos geschossen.

Als pünktlich um 6.30 Uhr der Startschuss knallt, ist die ganze Heuberger Brücke nur noch eine jubelnde Menschenmenge. Und eine ältere Frau, die sich trotz Sonne in eine warme Wolljacke gewickelt hat, jubelt gefühlt noch ein bisschen mehr als alle anderen. "Mein Mann ist im Wasser. Einer der Top-Starter? "Nein, er ist 65. Und ich bin froh, dass die Älteren gleich mit rein dürfen und nicht hinterherhumpeln müssen", sagt sie und grinst. Schnell wird ihr Mann nicht sein. "Ich hoffe, dass er vor Zielschluss ankommt." Eigentlich hatte er der Langdistanz schon vor zehn Jahren abgeschworen, aber nach Roth wollte er heuer unbedingt. "Die Anmeldeseite war nur ganz kurz offen und ich habe schon ein bisschen gehofft, dass er keinen Platz mehr kriegt", flüstert sie. Doch dann sei auf dem Bildschirm das Wort "Gratulation" aufgeploppt und sie wusste, dass sie heute hier stehen wird. "Dass ist für mich auch ein Challenge, ich will ihn schließlich überall auf der Strecke sehen."

Die Startschüsse knallen jetzt im Fünf-Minuten-Takt, die Fans jubeln, die Kameras klicken endlos. Ein paar halten das Handy minutenlang mit ausgestreckten Händen nach oben und filmen - obwohl sie kaum sehen, was sie aufnehmen.

Eine Französin versucht gerade, mit ein paar Brocken Deutsch und Englisch herauszufinden, wie sie später vom Parkplatz in Heuberg an den Solarer Berg kommt, weil sie ebenfalls ihren Mann auf der Strecke begleiten will. Ihre Fragen gehen erst einmal im Jubel unter, bis sich eine Schweizerin findet, die Französich spricht und mit einem Plan schnell weiterhilft.

Ein junger Mann steht derweil balancierend auf der Leitplanke und schenkt sich in aller Ruhe aus einer Thermoskanne Kaffee in eine Porzelantasse. "Stil muss sein", frotzelt der daneben, der aus der Safttüte trinkt.

"Sie kommen", schreien jetzt die Fans, die direkt an der Kurve stehen, an der die Top-Starter mit dem Rad auf die Brücke einbiegen. Jetzt hält es keinen mehr. Die Zuschauer von der Leitplanke springen nach unten und hechten die drei Meter bis zur Radstrecke. Wer bis jetzt einen Logenplatz am Geländer hatte, muss erst klettern und steht in dritter oder vierter Reihe am Absperrband.

"Jaaaaaa": Eine Frau am Straßen jubelt, schwenkt wie wild ihre Schweizer Flagge. Und der Athlet mit der Nummer 85 , dem sie da zujubelt, zischt nicht wie die anderen mit Vollgas über die Brücke, sondern legt eine Vollbremsung hin. Er nimmt seine Frau in die Arme, küsst sie und scheint sie für den Augenblick nicht mehr loslassen zu wollen. Als er schließlich wieder mit aller Kraft in die Pedale tritt, scheint er gerade den glücklichsten Moment dieses Tages zu genießen - auch wenn es noch viele harte Stunden bis zum Zieleinlauf sind.

Kai Bader