Fünf Freunde setzen ein Zeichen

"We come back stronger": Kreative aus München unterstützen mit ihren Kapuzenpullis Corona-Helfer

18.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:04 Uhr
Patrik Stäbler
"Irgendwie haben wir damit einen Nerv getroffen", sagen Pia Braun (rechts) und Barbara Littig-Haas über die Hilfsaktion, die sie gemeinsam mit Kollegen ins Leben gerufen haben. Sie verkaufen Kapuzenpullis mit dem Aufdruck WCBS - die Abkürzung steht für "We come back stronger" (zu deutsch: Wir kommen stärker zurück) und unterstützen mit dem Erlös Corona-Helfer. −Foto: Stäbler

München/Nürnberg - Es ist ein Freitag im März und hinter Pia Braun liegt eine besondere Woche - die erste, seitdem der Corona-Lockdown dem öffentlichen Leben den Stecker gezogen hat.

Die 44-Jährige aus München wählt sich an diesem Abend in eine Videokonferenz ein, obschon sie weiß Gott anderes zu tun hätte. Etwa die sechsjährigen Zwillinge ins Bett bringen. Oder mit ihrem Mann die nächste Woche besprechen - wer wann arbeitet, und wer wann die Kinder hütet.

Doch Pia Braun hat eine Nachricht von Dirk Cloos erhalten, einem befreundeten Kollegen aus Nürnberg. "Er hat geschrieben, dass ihm beim Joggen eine Idee gekommen ist", erzählt die Grafikdesignerin. "Und dass wir deshalb heute noch telefonieren müssen. " Was sie damals nicht ahnt: Es wird der Startschuss für eine Aktion sein, die bisher schon über tausend Pullover verkauft, hunderte Menschen beglückt und zwei Dutzend kleine Läden unterstützt hat. Und die sich in Windeseile von München aus in andere deutsche Städte, die Schweiz und bis nach Luxemburg ausbreitet.

Doch zurück zu jener Videokonferenz mit Dirk Cloos, seinem Kollegen Rolf Zaremba sowie Pia Braun und Barbara Littig-Haas, die gemeinsam eine Grafikagentur in München betreiben. Die Idee, die Cloos den anderen unterbreitet, ist ein Hilfsprojekt, das lokale Händler, Helfer und hilfsbedürftige Menschen zusammenbringt. Einen Slogan dafür hat er schon parat: "We come back stronger". Übersetzt: Wir kehren stärker zurück.

Diesen Slogan samt des Kürzels WCBS lässt das Quartett, zu dem wenig später noch Marketingexpertin Ulrike Haardt stößt, auf Kapuzenpullis drucken - von lokalen Textildruckern, um diese zu unterstützen. Die Hoodies werden dann übers Internet vertrieben; vom Erlös kaufen die Initiatoren bei kleinen Geschäften aus der Nachbarschaft ein - und zwar Produkte, die sie danach den Alltagshelden in diesen Corona-Zeiten schenken. Etwa Krankenpflegerinnen, Altenheimbewohner oder Supermarktkassiererinnen.

"Der Slogan und die ganze Aktion sollen vor allem auch ein Zeichen sein, dass wir uns von Corona nicht unterkriegen lassen", sagt Pia Braun. Auch bei ihrer Agentur seien die Aufträge weniger geworden - und doch sei das nicht der ausschlaggebende Grund gewesen, sich an der Aktion zu beteiligen. "Wir alle waren uns einig, dass wir irgendwas tun müssen", sagt Pia Braun. "Und wann hätten wir sonst schon mal die Chance, so ein Spendenprojekt aus dem Boden stampfen? "

Nicht mal eine Woche nach der Geburt der Idee steht die Webseite für das Projekt; bereits Ende März gehen die ersten Päckchen mit Hoodies an Freunde und Bekannte. Nach 24 Stunden haben die Initiatoren 30 Bestellungen beisammen. Mit dem Erlös kaufen sie bei einem Blumenladen in Nürnberg Dutzende Ostergestecke und schenken sie einem Altenheim - als österlicher Gruß für die Bewohner, die an den Feiertagen keinen Besuch bekommen dürfen.

"Am Anfang haben wir gedacht, wir machen vielleicht ein oder zwei Aktionen", sagt Pia Braun. Doch schon nach wenigen Tagen nimmt das Projekt Fahrt auf und immer mehr Bestellungen trudeln ein. Mal gehen 25 Pizzas von einem Italiener aus der Nachbarschaft an die Johanniter Unfallhilfe; mal kaufen die Initiatoren Mal- und Bastelmaterial bei einem Laden für Künstlerbedarf und bringen die Sachen in ein Münchner Altenheim.

Inzwischen sind mehr als 1000 Hoodies verkauft und zwei Dutzend Hilfsprojekte angestoßen worden - und das nicht nur in München und Nürnberg. Denn über Verwandte und Freunde hat das Projekt Kreise gezogen: Auch in Berlin, Landshut und Wiesbaden, ja sogar in Zürich und Luxemburg ist die Aktion angekommen - inklusive eigener Hoodies, auf denen der Schriftzug der jeweiligen Stadt prangt.

"Wir hätten am Anfang nie gedacht, dass das solche Kreise ziehen könnte", sagt Barbara Littig-Haas. "Aber irgendwie haben wir damit einen Nerv getroffen. " Der komplette Erlös aus dem Verkauf der Pullis geht an die Händler in der jeweiligen Stadt; die Initiatoren arbeiten dagegen rein ehrenamtlich. Ob sie nicht daran gedacht haben, ihre Geschäftsidee zu Geld zu machen? Stellt man diese Frage Pia Braun und Barbara Littig-Haas, dann blicken beide drein, als habe man ein Kaninchen aus dem Ärmel gezaubert. Im nächsten Moment antworten sie - perfekt synchron: "Nö! "

Die ganze Aktion, erklärt Pia Braun, "würde ziemlich sicher nicht funktionieren, wenn wir das für Geld machen würden. Es geht ja gerade darum, dass wir alle zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen. " Bleibt die Frage, wie es mit dem Projekt weitergeht - nun, da kaum noch über den Lockdown, dafür umso mehr über Lockerungen gesprochen wird.

"Es wäre schön, wenn wir unsere Aktion in irgendeiner Form erhalten könnten, auch über Corona hinaus", sagt Pia Braun. Allein eines dürfe nicht passieren - nämlich ein Rückfall bei den Infiziertenzahlen, der eine abermalige Verschärfung der Einschränkungen zur Folge hätte. "Denn dann", sagt Pia Braun, "würde wahrscheinlich niemand mehr denken, dass wir nach der Krise wieder stärker zurückkehren".

DK

Patrik Stäbler