Nürnberg
Fünf Etagen im Untergrund

Germanisches Nationalmuseum erweiteret sich in die Tiefe - Im nächsten Sommer soll eröffnet werden

06.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:45 Uhr
Aus der Vogelperspektive zeigt sich gut das Ausmaß der Tiefbaustelle. −Foto: Pelke

Nürnberg - Einzigartig und sensationell: Wenn Florian Kutzer über das neue Tiefdepot im großen Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg spricht, kommt der Architekt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. In diesem Jahrhundert sei das neue Archiv die größte Baumaßnahme des Nationalmuseums. Der spektakuläre Neubau unterkellert fast den gesamten Innenhof des Museumskomplexes und reicht fünf Etagen tief in den Untergrund.

Über endlose Treppen geht es über fünf Stockwerke fast 25 Meter in die Tiefe. "Hier im ersten Untergeschoss kommt die Technikzentrale zur Versorgung des Depots und der umliegenden Gebäude hinein", sagt der hauseigene Architekt des Museums und steigt über die Stufen weiter in die Tiefe. "Wir bauen natürlich auch einen Aufzug ein." Schließlich könnten weder schwere noch wertvolle Lasten mit Muskelkraft in den fensterlosen Archivkeller geschleppt werden. Allein 300 uralte Konzertflügel aus der historischen Instrumentensammlung sollen im neuen Tiefdepot gelagert werden. Bei diesen Dimensionen würden wohl selbst die hartgesottensten Möbelpacker den Dienst quittieren.

Derweil ist Kutzer im zweiten Untergeschoss angekommen. Überflüssig zu sagen, dass auch hier keine Fenster das Licht hereinlassen. Wie in einer Tiefgarage spenden Neonröhren an den Decken grelle Helligkeit. Statt aufgemalter Parkbuchten zieren filigrane Schienen den Boden. "Die Bodenschienen sind bereits für die Kompaktregale installiert", sagt Kutzer und erklärt, dass die praktischen Rollarchive für Bilder, Münzen und Skulpturen in allen Größen und Formen genügend Platz bieten. Apropos Platz: Der geht dem Museum bald noch mehr als ohnehin schon ab.

"In zwei bis drei Jahren wollen wir den Südflügel sanieren", sagt Kutzer und erzählt, dass die Generalüberholung des Glastraktes aus den 60ern sehr viel Zeit kosten wird. Der Herr über die Baustellen im Nationalmuseum rechnet mit mindestens fünf Jahren für die Frischzellenkur. Deshalb sei der Bau des fast 40 Millionen Euro teuren Tiefdepots überhaupt erst nötig geworden. "Die 70000 Einzelstücke aus dem Südflügel müssen schließlich irgendwo zwischengelagert werden", sagt Kutzer. Das Museum könne das neue Depot freilich auch danach noch gut gebrauchen.

Die Bestände des Nationalmuseums sind schließlich uferlos. Weit über eine Million Kunstwerke schlummern bereits heute in den alten Magazinen. "Und es werden immer mehr", sagt Kutzer und steigt über den dicken Schlauch einer Kugelstrahlanlage zur Vorbereitung des Rohbetons für den Estrich und vorbei an den ersten weiß gestrichenen Wänden noch weiter hinunter in den dunklen Archivkeller. "Ab einer Tiefe von rund zehn Meter fängt der Grundwasserspiegel an", sagt Kutzer. Daher sei es durchaus ein Wagnis gewesen, das neue Tiefdepot praktisch ins Wasser zu bauen. Feuchtigkeit sei schließlich der Feind jedes Kunstwerks. Das Risiko sei das Museum bewusst eingegangen, um erstens Platz und zweitens Energie zu sparen. "Durch das Grundwasser werden die Kellerräume automatisch gekühlt", schwärmt Kutzer von den "idealen Temperaturen" im neuen Tiefdepot.

Die Gefahr des Wassereinbruchs sei allerdings nicht von der Hand zu weisen. Um größtmöglichen Schutz für die Exponate vor der bösen Feuchtigkeit zu bieten, werden die einzelnen Depots über einen umlaufenden Flur von der Außenwand entkoppelt. Dieser Gang zwischen Archiv und Außenhaut diene nicht nur als Klimapuffer. Falls mal ein Riss im Beton entstehe, könnte dieser relativ leicht geflickt werden. Ziemlich genial findet Kutzer diese Konstruktion. Risse im Beton könne niemand ausschließen. Zumal bei einem Bauwerk, dass für kommende Generationen gebaut werde. Noch in 500 Jahren soll das Depot tief unter der Erde die wasserscheuen Schätze der Nation vor dem Verfall bewahren.

Noch laufen die umfangreichen Arbeiten. Im nächsten Sommer sollen die ersten Werke ins neue Depot wandern. Aus der Vogelperspektive sind die Dimensionen beeindruckend. Die Betonplatte bedeckt beinahe den gesamten Klosterhof. Nach der Fertigstellung soll die graue Betondecke begrünt werden. Ein lauschiger Garten sei aber nicht geplant. Den gibt es eigentlich nebenan.

Aber dieser Innenhof, in dem einst das mondäne Museumscafé residiert hat, ist leider seit 25 Jahren für das Publikum geschlossen, weil der Eingang in die "Straße der Menschenrechte" verlagert worden ist. Das gleiche Schicksal ist für das neue Tiefdepot vorgesehen. Schon aus Sicherheitsgründen dürfen nur berechtigte Personen mit einem Spezialschlüssel hinein. Wer es dort einmal dennoch hinein geschafft hat, dem dürften schnell die Augen vor Begeisterung überlaufen. In den schnöden Regalfächern wartet Meisterwerk neben Meisterwerk geduldig auf die nächste Gelegenheit, sich dem staunenden Publikum im Rahmen einer Ausstellung in voller Pracht präsentieren zu können.

"Unsere Highlights zeigen wir natürlich in der Dauerausstellung", sagt Museumssprecherin Sonja Mißfeldt und zieht einen selbstverständlich echten Lovis Corinth aus der Regalwand. Der Maler zählt hierzulande zu den bedeutendsten Impressionisten. "Nichtsdestotrotz haben natürlich auch spektakuläre Sachen hier im Depot." Allerdings sei es hier langsam voll, sagt die Museumssprecherin und zeigt auf die vielen Bilder und "Wir haben als Museum die Aufgabe neue Kunstwerke zu sammeln. Dafür brauchen wir den Platz im neuen Tiefdepot", sagt Mißfeldt und baut im nächsten Atemzug einem möglichen Missverständnis vor. "Dieses alte Archiv wird bleiben. Wir bauen einfach ein zusätzliches Depot", sagt Mißfeldt und knipst das Licht in der fensterlosen Schatzkammer wieder aus.

HK

Nikolas Pelke