Ingolstadt
Fülle des Wohllauts

20.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:24 Uhr

Samtig-homogener Klang: Ariel Zuckermann dirigierte die ersten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums im Audi-Forum. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Vielleicht reagiert eine große Formation besonders schwerfällig. Wie ein gewaltiges Schiff manövrierte Ariel Zuckermann am Dirigentenpult jedenfalls die Audi-Jugendchorakademie und das erweiterte Georgische Kammerorchester durch den Beginn der ersten Kantate des Weihnachtsoratoriums.

"Jauchzet, frohlocket" jubelte der Chor im Audi-Forum – aber es klang eher nach wohliger Zufriedenheit als nach euphorischem Überschwang. Ein weicher, leicht beschwingter Bach zum Wohlfühlen, dachte man, wenn man Franz Hauks Aufführung des Werks noch im Ohr hatte. Der Münsterorganist hatte seine Interpretation am 13. Dezember in der St.-Pius-Kirche in Ingolstadt vorgestellt.

Es kommt nicht oft vor, dass sich in Ingolstadt in einem Jahr gleich zwei Versionen des Weihnachtsoratoriums einem Vergleich stellen. Und tatsächlich: Die Unterschiede könnten kaum größer sein. Es ist somit sehr schwer zu sagen, welche Aufführung gelungener war.
 
Ariel Zuckermann hatte vor allem das Glück, ein größeres finanzielles Budget zur Verfügung zu haben. Und er konnte die hervorragende, von Martin Steidler einstudierte Audi-Jugendchorakademie einsetzen sowie "sein" Orchester, das vorzüglich eingespielte Georgische Kammerorchester. Mit Nachteilen hatte er dennoch zu kämpfen: Die Akustik des Audi-Forums ist für Konzerte kaum geeignet, Lautersprecherbatterien müssen bauliche Mängel kompensieren.

Hauk blieb nichts anderes übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen. Ähnlich wie Bach vor 275 Jahren, als er das Weihnachtsoratorium uraufführte, verwaltete er den Mangel: Sein Orchester zählte nur rund 20 Musiker, der Chor hatte noch weniger Mitglieder. Aber die Laiensänger der MünsterVocalisten machten ihre Sache verblüffend gut, mobilisierten gerade auch im Eröffnungssatz erstaunliche Kraftreserven, sangen prägnant und präzise, geradezu feurig bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten – an den samtig-homogenen, perfekt ausgestalteten Klang des Audi-Chors reichten sie dennoch nicht heran. Und Hauks kleines Orchester verfügte auch nicht über das Raffinement in den Phrasierungen, auf das Ariel Zuckermann zurückgreifen konnte.

Die Unterschiede sind allerdings letztlich fast schon ideologischer Art: Zuckermanns Bach wirkte wie ein Historiengemälde im Cinemascope-Format, eine kantenfreie Fülle des Wohllauts. Hauks historisch informierte Version dagegen interpretierte den Text manchmal mehr noch als die Musik, er präsentierte die Sätze tänzelnd und pointiert, Chor und Holzbläser tupften oft die Melodien nur, wichtiger waren die schmerzhaften Reibungen der Harmonien. Hauk begleitete den Evangelisten selbst am Cembalo, Zuckermann besetzte den Basso-continuo-Part mit einer Theorbe und ließ sie laut wie eine E-Gitarre verstärken – ein stilistischer Fehlgriff.

Hauks größte Leistung war wahrscheinlich die Auswahl der Solisten. Den fast durchweg sehr jungen Sängern war eine vibratoarme, fast instrumentale Reinheit der Stimme gemeinsam. Zwei ragten im Ensemble besonders heraus: Der Tenor Max Kiener sang die Rolle des Evangelisten auswendig und mit überwältigender deklamatorischen Klarheit. Sein hoch temperierter Tenor, seine fantastische Textverständlichkeit machten ihn zu einem geradezu beispielhaften Bach-Sänger. Kaum weniger überzeugend war die noch sehr junge Altistin Theresa Holzhauser.

Da konnten Ariel Zuckermanns Solisten kaum mithalten. Youn-Seong Shim verfügt zwar über ein balsamisch-schönes Timbre, aber er kämpfte doch spürbar mit Textverständlichkeit und dem musikalischen Charakter seiner Partie. Christa Ratzenböck sang ihre Arien neutral bis an die Grenze zur Ausdruckslosigkeit. Einen wunderbaren Tiefbass zeigte Martin-Jan Nijhof, während Sopranistin Rita Balta trotz deutlichen musikalischen Engagements ihre Partie allzu schrill gestaltete.

Dennoch: Der souveräner agierende, differenzierter phrasierende Dirigent der beiden Aufführungen war ohne jeden Zweifel Zuckermann. Dazu genügte es, die Hirtenmusik zur Eröffnung der zweiten Kantate zu hören. Anders als Hauk klammerte er sich nicht an den Zwölfachtel-Takt, wodurch alles etwas hölzern daherkam, sondern er ließ die Melodien in unendlicher Eleganz fließen. Besinnlicher, bezaubernd heiterer kann man die Weihnachtszeit kaum veredeln.