Ingolstadt
Fülle des Wohllauts

Das Modigliani-Quartett spielt im Ingolstädter Theaterfestsaal

26.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Auf höchstem Niveau: Das Modigliani-Quartett im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Das F-Dur-Streichquartett von Maurice Ravel gehört zu den wenigen Skandalstücken der Musikliteratur. Der 28-jährige Komponist bewarb sich mit dem Kammermusikwerk bereits zum vierten Mal beim renommierten Prix de Rome – und löste einen Eklat aus. Die Jury des Rom-Preises konnte mit dem Werk überhaupt nichts anfangen und verwehrte Ravel 1905 aus formalen kompositionstechnischen Gründen die Teilnahme an dem Wettbewerb. Im Laufe der daraufhin einsetzenden öffentlichen Diskussion musste Théodore Dubois, der Direktor des Pariser Konservatoriums, das den Rom-Preis mittrug, seinen Hut nehmen. Der heftige Streit schadete dem jungen Komponisten nicht. Im Gegenteil. Es machte ihn berühmt.

Nun, hört man dem Werk heute noch den Skandal an? Bemerkt man überhaupt noch die Provokation? Überhaupt nicht. Und schon gar nicht, wenn das grandiose Modigliani-Quartett sich des Frühwerks annimmt, wie beim jüngsten Gastspiel beim Konzertverein im Ingolstädter Festsaal.

Denn die vier vorzüglichen Musiker betonten nicht die Ecken und Kanten des Werks, sondern dessen atmosphärischen Qualitäten. Sie interpretierten es, als wäre es ein Werk Debussys. Sie vertieften sich in das Flirren der Nebenstimmen, in die subtile Klanglichkeit der Melodien, ließen die Musik frei im Rhythmus wogen, als spielten sie „La Mer“ und wollten das Publikum seekrank machen. Selbst die eher rhythmisch prägnanten, spanisch tänzelnd anmutenden Partien im zweiten Satz nahmen die vier Musiker mit impressionistischer Gelassenheit.

Wenn man das Modigliani-Quartett hört, glaubt man doch irgendwie, dass es einen spezifisch französischen Musizierstil geben könnte. Ein Zugang zu den Werken, der eher den Klang betont als die Architektonik des Werkes, der eher sublimen Stimmungen nachgeht, als formale Strukturen hervorkehrt. Von diesem irgendwie französischen Charakter waren jedenfalls alle Werke des Abends durchdrungen, sogar das Streichquartett in Es-Dur des erst 16-jährigen Österreichers Franz Schubert.

Auch hier setzten Philippe Bernhard, Loic Rio (beide Violine), Laurent Marfaing (Viola) und François Kiefer (Cello) nicht auf die ohnehin nur spärlich vorhandenen Konflikte im Notentext, sondern eher auf feinste Differenzierungen in den Phrasierungen. Wunderbar wie etwa bereits beim ersten Thema im Kopfsatz, weich-melodische Partien vom eher akkordisch hingetupften, echoartigen Nachklang abgehoben wurden. Was aber diese Interpretation auszeichnete, war der durchgehende, wunderbare, unendlich weiche Schönklang. Wieder auf genuin französisches Terrain begaben sich die vier Musiker bei Camille Saint-Saëns leider viel zu selten gespieltem 1. Streichquartett. Auch hier trat deutlich der klangversessene Stil des Modigliani Quartetts hervor – und wurde der Dramatik, der Leidenschaft, die in diesem Werk liegt, dabei doch nicht ganz gerecht. Denn dieses grandiose Werk ist erstaunlich vielschichtig, weist im Schlusssatz bereits auf die Musik des 20. Jahrhunderts hin, integriert aber auch alte Formen wie die Fuge im Kopfsatz. Die Modigliani-Musiker spielten hier besonders oft mit Dämpfern, um eine besondere, eigentümliche Klangfärbung hervorzukehren, eine zarte Leichtigkeit, eine magische Leuchtkraft. Aber dieser Weg birgt auch die Gefahr allzu großer Glätte.

Vielleicht um dem Konzertabend noch einmal einen gänzlich anderen Akzent zu verleihen, gaben die vier Musiker nach dem Ende des offiziellen Programms eine Polka von Dmitri Schostakowitsch zu: ein sehr ironischer Ausflug in die Welt der Tanzmusik, vom Modigliani-Quartett fast schon derb musiziert. Ein gänzlich unfranzösischer Ausklang.