Früher Zeichenmaschine, heute interaktive Plattform

Das Architekturmuseum in München widmet sich in einer inspirierenden Schau der Rolle des Computers in der Baukunst

18.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:51 Uhr
Joachim Goetz
Von den britischen Architekten You+Pea stammt eine App, mit der die Besucher Hochhäuser kreieren können. Ein satirischer Blick auf die Superreichen und die Londoner Skyline. −Foto: You+Pea

München - Schon immer mal davon geträumt, Stararchitekt zu werden, selber einen krassen Wolkenkratzer zu entwerfen?

Das Architekturmuseum der TU in der Münchner Pinakothek der Moderne macht's in der Ausstellung "Die Architekturmaschine - Der Computer in der Architektur" möglich. Virtuell freilich. Die britischen Architekten "You+Pea" (Sandra Youkhana, Luke Pearson) haben das "London Developers Toolkit" entwickelt, eine satirische App, die die Skyline der Londoner Superreichen thematisiert und die Immobilienlandschaft Londons persifliert. Damit können Laien inspiriert vom Genesis-Song "In Too Deep" und mit Hilfe einer Totemstruktur mir nichts Dir nichts witzig-freche Hochhäuser kreieren. Das interaktive Computerspiel ist nicht nur zu sehen sondern effektiv zu spielen, Desinfektionsmittel für Joystick und Hände inklusive.

Die Kuratoren trieb allerdings die tiefer gehende Frage um: "Hat der Computer die Architektur verändert und wenn ja, wie? " So hat man sich erst einmal mit Grundlagenarbeit beschäftigt, gräbt sich tief in die Historie hinein, die zwar von Tonnenschweren Computern geprägt ist. In der der Schau wirkt diese jedoch angesichts der vielen Renderings, Monitore, Virtual Reality-Installationen oft wie die Zukunft. Man erforscht ja auch die immer wichtiger werdende Rolle des Computers für die bauende Zunft. Und hat etwa 40 interessante Fallstudien zusammen geklaubt, sie in vier Kapitel - und in eine fabrikartige, technoide und transluzente Zellen-Architektur gepackt.

Lustig etwa die Historie der live präsentierten Mäuse, die von ungestalteten monströsen Tasten-Apparaturen bis hin zur ergonomischen Colani-Maus reicht, die fast als Skulptur durchgehen könnte. Ähnlich nostalgisch gibt sich die Geschichte der Computerspiele - die als (leere) Originalschachteln an der Wand den Besucher in seine Jugend mit SIM City zurückbeamen. Erhellend und zugleich anschaulich die um 1980 entstandene "Aspen Movie Map" - so etwas wie ein frühes Google Streetview. Mit einem irren Aufwand wurde der legendäre Wintersportort in den Rocky Mountains/Colorado vermessen, fotografiert, gefilmt, in 3-D-Modelle übertragen. Und schließlich konnte der Nutzer im MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston in einem legeren Clubsessel sitzen und mit dem Joystick durch das tausende Meilen entfernte Aspen navigieren.

Auch schön: Als der Rechner noch als bessere Zeichenmaschine benutzt wurde entstanden betörend schöne Plotter-Zeichnungen, die man inzwischen fast vergessen hat. Zu sehen sind die Computergrafiken von Günter Günschel, der den Rechner für freie Experimente ohne vorgegebenes Raumprogramm einsetzte. Er verglich sein Tun mit dem Malen an der Staffelei - nicht zuletzt, weil der Bildaufbau am Monitor solange dauerte, dass man nebenher wirklich Kaffee kochen konnte.
Schon in den 70er Jahren entstand die Mannheimer Multihalle - das wohl immer noch weltgrößte Holzgitter-Schalendach. Da konnte man immerhin den Computer schon dazu benutzen, die an einem Hängemodell entwickelte Gestalt im 3-D-Modell zu überprüfen und die Schneelast zu berechnen.

Times are changing. Inzwischen lassen sich nicht nur Gebäude komplett am Rechner simulieren - inklusive aller notwendigen Materialien, um es später dann zu bauen. Man kann sogar, und das freut Auftraggeber und Architekten gleichermaßen, mit Hilfe von Augmented Reality selbst in riesengroßen Häusern mit der VR-Brille vor den Augen virtuell herumspazieren, darin wohnen, sich ein fast perfektes Bild verschaffen. Bevor auch nur die Baugrube ausgehoben wurde.

DK


Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne: bis 10 Januar, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Der Katalog erscheint im Birkhäuser Verlag und kostet 39,95 Euro.

Joachim Goetz