Neuburg
Frage der persönlichen Haltung

Das Anke Helfrich Trio mit Adrian Mears im Neuburger Birdland

19.11.2021 | Stand 29.11.2021, 3:35 Uhr
Anke Helfrich. −Foto: Leitner

Neuburg - Es gab Zeiten, in denen wurden politische Überzeugungen auch mit den Mitteln des Jazz ausgedrückt, und zwar mitunter ziemlich radikal. Das heißt nun nicht, dass die Pianistin Anke Helfrich, die zusammen mit Dietmar Fuhr am Kontrabass, Jens Düppe am Schlagzeug und Adrian Mears als Gast an der Posaune und dem im Jazz höchst selten zu hörenden Didgeridoo bei ihrem Birdland-Konzert aktivistische Parolen verbreiteten, aber sie beweist doch Haltung weit über die Musik hinaus.

Es geht um "Dedications" an diesem Abend, um Widmungen. Und die fallen, sobald sie von der temperamentvollen, quirligen, experimentierfreudigen aber doch immer verlässlichen Pianistin aus­gehen, hingebungsvoll und ehrlich aus. "La Oscura" beschäftigt sich mit dem Schicksal der Malerin Frida Kahlo, das rhythmisch verwegene "Invictus" mit Nelson Mandela, dem Helfrich sich, die lange Zeit in Windhuk gelebt hat, besonders verbunden fühlt. Die gerappten Zeilen "I'm the master of my fate, I'm the captain of my soul" stehen dabei wie ein Monument im Raum, während die Band dem Sound von Namibia nachspürt.

Ein Meisterwerk ist "Cause I'm Free", das sie zu Ehren der australischen Mittelstrecklerin Kathy Freeman und deren Bekenntnis zu den Aborigines geschrieben hat, und "The Prize" macht einen schlicht sprachlos. Die Idee, die berühmte Rede Martin Luther King's "I Have A Dream" per Sampler einzuspielen und dessen Sprechrhythmus zum Metrum für eine eigene Komposition zu machen, ist grandios. Diese Finte macht erst so richtig deutlich, dass King nicht nur ein begeisternder Rhetoriker war, sondern eben auch ein Prediger, der ganz genau wusste, wie man eine Menschenmasse emotional packt. Und dass sie schließlich den "Waltz for Birdland" dem Jazzclub in Neuburgs Altstadt widmet, ist, wie man deutlich spürt, mehr als nur eine nette Geste. Die Musik korreliert mit dem gedanklichen Inhalt. So ist das vom Tarot inspirierte Stück "Der Turm" immer wieder - dem Spiel entsprechend - vom Einsturz bedroht, und das während des Lockdowns entstandene "Time Will Tell" beginnt kammermusikalisch, eingesperrt sozusagen, kämpft sich allmählich frei und lernt schließlich, ohne Einschränkungen selbst zu laufen, verwegene Sprünge und avantgardistische Kapriolen mit eingeschlossen. Deutlicher kann man die derzeitige Befindlichkeit mit rein musikalischen Mitteln vermutlich kaum ausdrücken.

Ja, in der Tat, es ist ein absolut außergewöhnliches Konzert, dass da zum Auftakt des langen Wochenendes zum Abschluss des "11. Birdland Radio Jazz Festivals" über die Bühne geht. Ein Konzert mit Stücken, die allesamt von der ersten bis zu letzten Minute spannend, innovativ, stilistisch offen sind, nie­ jedoch elitär. Wer nicht da war, hat in der Tat etwas versäumt.

DK


Nachhören kann man den Auftritt von Anke Helfrich und ihrer Band heute Abend im Rahmen der vierstündigen Jazznacht, die vom BR live aus dem Birdland übertragen wird. Sendetermin: 22:05 Uhr bis 24 Uhr auf BR Klassik, anschließend 0.05 Uhr bis 2.00 Uhr auf Bayern 2.