"Flüstern funktioniert da nicht"

30.12.2007 | Stand 03.12.2020, 6:14 Uhr

"Halt, stopp!" – durch kleine Gesten signalisiert Anja Allmendinger der Stute Julie, wo es langgeht. Das Pferd hat das längst akzeptiert und pariert wie am Schnürchen. - Fotos: Müller

Langenbruck (PK) Seit 30 Jahren sitzt Anja Allmendinger nun schon im Sattel. Die Pferdetrainerin hat bei Western-Reitern in Deutschland und den USA ihr Handwerk gelernt und ist oft die letzte Hoffnung für verzweifelte Pferdehalter.

Julie war ein Problempferd. Sechs Jahre alt und nicht eingeritten, ließ sie sich als selbstbewusste Leitstute einer Herde von zehn Pferden nur von ihrem Besitzer reiten. Von Frauen überhaupt nicht, berichtet Anja Allmendinger, während sie die helle Quarter-Mix Stute an den Ohren liebkost. Diese Geste wäre vor Monaten noch gar nicht möglich gewesen.

Allmendinger arbeitet seit einem Jahr mit Problempferden – ein Hobby, das die gelernte Versicherungskauffrau nun zu ihrem Traumberuf gemacht hat. "Vertrauen und Respekt" seien die Grundlagen ihrer Arbeit. Durch kleine Gesten, wie ihre Körperhaltung, Gewichtsverlagerung oder klare Ansagen signalisiert sie dem Pferd, was es tun oder besser lassen soll. "Die meisten Probleme im Umgang mit Pferden sind Dominanzprobleme," meint Allmendinger und legt Julie den Ledersattel auf den Rücken. Brav schnaubend lässt das Pferd sich das mittlerweile gefallen. "Beim ersten Mal wollte sie den Sattel loswerden wie ein Rodeopferd", erinnert sich die Pferdetrainerin.

Die 39-Jährige arbeitet bereits seit September eine Stunde pro Woche mit der Fürholzener Stute, die mittlerweile beachtliche Fortschritte gemacht hat. "Julie ist sehr klug und lernt schnell," bestätigt Allmendinger, während sie das Pferd auf die verschneite Koppel führt. Vorwitzig funkeln die Augen der Stute und lassen das Temperament erahnen, das in dem Tier schlummert. Aber mustergültig gehorcht sie den Ansagen, lässt sich am Zügel führen oder folgt der Pferdetrainerin bei einer schnellen Runde durch den Parcours wie ein gelehriger Hund.

Zunächst hatte Allmendinger ehrenamtlich für Freunde gearbeitet. Doch ihr Erfolg sprach sich schnell herum, und mittlerweile ist sie bereits an vielen Wochenenden oder in den Ferien ausgebucht. An den Wochenenden und in den Schulferien wohnt sie in Langenbruck, wo ihr Lebensgefährte lebt. Während der Schulzeit wohnt sie, ihrer Kinder wegen, in der Nähe von Ulm.

Eine Pferdeflüsterin wie Monty Roberts sei sie aber nicht, betont sie. "Flüstern funktioniert da nicht. Ich muss verstehen, wie die Pferde untereinander kommunizieren, dann kann ich mit ihnen arbeiten." Und der Erfolg gibt ihr Recht: Julie lässt Allmendinger bedingungslos in den Sattel klettern, folgt ihren Anweisungen, trabt im Kreis oder geht seitwärts und rückwärts. "Das ist nur, weil die Anja draufsitzt," sagt Julies Besitzerin, die ihr lammfrommes Pferd beim Training kaum wieder erkennt.

Für Allmendinger sind dies auch die schönen Momente, die ihren Beruf zum Traumberuf machen: "Einmal konnte ich durch meine Arbeit ein Pferd vor dem Verkauf bewahren," erzählt sie. Die Besitzerin sei ihr schließlich tränenüberströmt um den Hals gefallen: "Ich bin so froh, dass wir das hingekriegt haben! Ich hänge so an dem Pferd!" Nicht alle Probleme liegen beim Tier – oft trägt auch der Halter einen Teil dazu bei. "Wenn der Reiter sehr nervös ist, überträgt sich das auch auf das Pferd. Er muss aber ranghöher sein als das Pferd – es muss ihm gehorchen." Oft sind bei der Arbeit der Trainerin Feingefühl für Mensch und Tier gefragt. "Mensch versteht Pferd und Pferd versteht Mensch, das ist das eigentliche Ziel meiner Arbeit."