Schrobenhausen
„Fluch und Segen für die Gambe“

Jakob David Rattinger über den Reiz der Musik von Bach und die Schrobenhausener Tage der Barockmusik

17.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr
Jakob Rattinger hat sich international einen Namen als Gambist gemacht. −Foto: Klaus Feichtenberger

Schrobenhausen (DK) Originalklang, internationale Qualität, große Namen der Szene – damit wollen die Organisatoren der Tage der Barockmusik vom 8. bis zum 10. September in Schrobenhausen auch heuer aufwarten.

Der Intendant des Festivals, der Grazer Gambist Jakob David Rattinger, legt heuer den Schwerpunkt auf die Reformation – und damit erstmals auch auf Bach.

„Zu Bachs Zeiten war die Spieltechnik an der Gambe sehr, sehr fortgeschritten – und das war ein großes Problem.“

Herr Rattinger, können Sie schon verraten, was es außer einigen Goldberg-Variationen von Bach zu hören geben wird?

Jakob Rattinger: Es wird viel gespielt werden, was man kennt: Neben dem Anklingen einiger Goldberg-Variationen wird auch die sehr bekannte Bachkantate BWV 147 „Herz und Mund und Tat und Leben“ interpretiert, und wir werden BWV 4 „Christ lag in Todes Banden“ mit Gregorianik kombinieren, darauf freue ich mich jetzt schon.

Warum präsentieren Sie bei den Schrobenhausener Barocktagen eigene Bearbeitungen?

Rattinger: Man kann Kompositionen mit vielen Instrumenten spielen, nicht nur mit denen, für die sie im ersten Moment gedacht waren. Das macht Musiker neugierig: Wie würde das wohl klingen, wenn eine Suite, die für Flöten gedacht ist, auf der Gambe zu hören ist. Und warum nicht Schlüsselfidel statt Trompete? So kann man den Reichtum von Bachs musikalischer Sprache mit neuen Klangspektren belegen. Solche Bearbeitungen gibt es ja auch von den Komponisten selbst. In manchen Fällen wissen wir zum Beispiel von verschollenen anderen Versionen von Bach selbst. Ein sehr spannendes und inspirierendes Feld.

Wie kamen die zustande?

Rattinger: Nehmen wir an, Bach wäre gereist, wäre in eine Stadt gekommen, wo er auf einen großartigen Oboisten trifft, dann hätte er seine Geigenstimme womöglich etwas angepasst. In der nächsten Stadt, wo ihm ein Gambist zur Verfügung stand, hat er wieder leicht modifiziert. In Bachs Matthäuspassion finden wir fast gleiche Passagen, die mal für Gambe, mal für Laute geschrieben waren – was dafür spricht, dass er sich an die Gegebenheiten anpassen musste.

Das heißt, Sie stoßen immer wieder auf unterschiedliche Stimmen fürs gleiche Stück?

Rattinger: Absolut. Es gibt Stücke, von denen nur noch Kopien mit geänderten Instrumenten überliefert sind. Dann wird es spannend herauszufinden, welche Instrumente für das Original gedacht gewesen sein könnten. Damit nähert man sich Kompositionen neu an, weil man sich ja immer die Frage stellt: Warum hat er das so gemacht und nicht anders? Manchmal kommt man bei diesen Überlegungen sehr stark an den Kern der Musik ran. Man kann so Facetten entdecken, die einem sonst vielleicht gar nicht auffallen. Es gibt auch Stücke, die nicht komplett erhalten sind, etwa ein Geigentrio, für das nur zwei Stimmen vorliegen. Womöglich aber findet man eine Passage in einer Orchestersuite – dann für Traversflöte – wieder. Dann wird klar: Aha, dann war das die Stimme, die eigentlich für eine Geige gedacht war. Manchmal kann man dann ein Stück quasi wiederherstellen – oder besser noch: retten.

Wenn nun Bach so spannend ist – warum spielen Sie selbst eigentlich so wenig Bach auf Ihren Konzerten?

Rattinger: Leider ist das eine Katastrophe! (lacht) Denn Bach hat ganz einfach keine Konzerte für tiefere Bassinstrumente geschrieben, also für Gambe, Cello oder Fagott. Direkt vom Meister sind uns lediglich drei Gamben-Sonaten erhalten, die allesamt Bearbeitungen anderer Stücke sind. Zum Beispiel hat er ein Stück für zwei Traversflöten und Continuo geschrieben, das er dann für Gambe und Cembalo umarbeitete. Oder man kann ein Brandenburgisches Konzert in einer Gambensonate entdecken. Dieses Verfahren der Umarbeitung nennt man übrigens Parodieverfahren. Und im Grunde ist es genau das, was elbipolis bei seinem Konzert machen wird.

Mochte Johann Sebastian Bach keine Gamben?

Rattinger: Das glaube ich nicht. Gambisten waren damals einfach wahnsinnig teuer, sie waren reisende Virtuosen, die zum Beispiel für die unglaublich schweren Gamben-Passagen in seinen Passionen eingesetzt wurden. Im Alltag wird er sie sich eher nicht geleistet haben, außer da war gerade jemand greifbar. Dann wird er halt kurz was herausgezogen und umgeschrieben haben.

Sie sagten eben, dass Gambisten damals wahnsinnig teuer waren – klingt so, als hätte sich das seither verändert.

Rattinger: (lacht) In der Tat… Aber im Ernst: Zu Bachs Zeiten war die Spieltechnik an der Gambe sehr, sehr fortgeschritten – und das war ein großes Problem. Es gab damals unfassbare Virtuosen an der Gambe. Ihren Lebensunterhalt haben Musiker damals aber zum Teil damit bestritten, Noten zu verkaufen. Nehmen wir zum Beispiel Antoine Forqueray. Seine Stücke waren so unglaublich virtuos, dass Laien sich an sein Material nicht heranwagten – schlecht für ihn, um einem breiten Markt von Laien seine Werke schmackhaft zu machen. Wer sitzt schon gerne vor Noten, die er nicht im Ansatz spielen kann.

Sie spielen Forqueray…

Rattinger: … und sogar sehr gern, er ist einer meiner Favoriten. Und heute gibt es durchaus mehrere Gambisten, die ihn spielen können (lacht) . Forqueray war übrigens – man höre und staune – quasi der Gambenlehrer unseres Blauen Königs, Max II. Emanuel von Bayern. Als Max Emanuel nach seiner Zeit in Wien, Paris und den Niederlanden nach München zurückkam, kaufte er auch Gamben an, fand aber hier in Bayern wahrscheinlich niemanden, der sie adäquat spielen konnte – und widmete sich dann mehr dem Cello. Es gab damals jedenfalls einige unglaubliche Könner auf der Gambe – Telemann war übrigens auch einer davon. Die großen Virtuosen waren damals also Segen und Fluch zugleich für die Gambe. Und – um den Bogen zu schließen – deshalb gibt es so wenig Gamben-Material bei Bach.

Das Interview führte

Sabine Beck.

DAS FESTIVALPROGRAMM

„Undercover Bach“ mit dem Barockorchester elbipolis am Freitag, 8. September, um 20 Uhr im Konferenzgebäude der Bauer AG.

„Inventio – Jazz trifft Barock“ mit Marco Ambrosini (Schlüsselfidel) und Jean Louis Matinier (Akkordeon) am Samstag, 9. September, um 20 Uhr im Spiegelsaal der Sparkasse Schrobenhausen.

„Künstlergespräch“ mit Marco Ambrosini und Jakob David Rattinger am Sonntag, 10. September, um 11 Uhr in der Sparkasse Schrobenhausen.

„Von Luther bis Bach“ mit dem Barockorchester La Banda und dem Ensemble Phoenix am Sonntag, 10. September, um 20 Uhr in der Pfarrkirche St. Jakob.

Karten gibt es in den DK-Geschäftsstellen. Weitere Infos: www.barockmusik.info. | DK