Ingolstadt
Feuerwerk im Orchesterrund

02.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:15 Uhr

Butterweiche Trompetentöne: Gábor Boldoczki wird im Ingolstädter Festsaal vom Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Benjamin Shwartz begleitet. Sie spielen das Es-Dur-Konzert von Joseph Haydn - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Neujahrskonzerte sind eine Chance. Mit ihnen kann ein Orchester endlich mal den philharmonischen Alltag hinter sich lassen und ein wenig aus der Reihe tanzen – vielleicht mit ein paar Walzern. Die Musik darf prickeln wie Champagner und sollte dahinrauschen wie eine Silvesterrakete. Benjamin Shwartz, der neue musikalische Leiter des Georgischen Kammerorchesters, ergriff diese Chance bei seinem ersten Konzert als Chef des Ensembles nicht. Er dirigierte ein Programm, wie man es etwa von unzähligen Abonnementkonzerten kennt. Keine humoristische Einlage, kein Witz, nicht einmal eine freundliche Begrüßung heiterte das Publikum an jenem Abend auf.

So macht man sich den Start ins neue Jahr und den Beginn einer Ära schwer. Denn es zählte an diesem Abend nur die reine Musik.

Und gerade die konnte in der ersten Hälfte des Konzerts nicht immer völlig überzeugen. Shwartz hatte als ein Eröffnungsstück Antonín Dvoráks „Tschechische Suite“ ausgewählt, ein leicht melancholisches Stück voller verträumter, volkstümlicher Themen. Kein Reißer also, eher eine Kette introvertierter Tänze. Und so interpretierte der neue Georgier-Dirigent das Werk auch. Voller Poesie, mit einem runden, süffigen, von den Streichern geprägtem Klangbild. Mit viel Finesse brachte er die spezifische böhmische Melodik mit ihren ungewöhnlichen Phrasierungen zum Singen. Aber ein Gefühl der Schwerelosigkeit, das so typisch ist für diese Musik, entwickelte sich nicht so richtig. Denn Shwartz ließ dem Orchester und da besonders den Bläsern zu wenig Raum zur Entfaltung, mit seinen unaufhörlichen, eigentlich unnötigen Taktschlägen zerhackte er die weitflächige Melodik des Stücks. In den schnellen Sätzen wählte er zudem zu moderate Tempi. Besonders beim derb-temperamentvollen Furiant, dem Schlusssatz, fehlte es an wildem Presto-Überschwang. So blieb ein zwiespältiger Eindruck zurück, der auch vom zweiten Werk des Abends nicht korrigiert wurde: dem Es-Dur-Trompetenkonzert von Joseph Haydn.

Benjamin Shwartz begleitete den wunderbaren Gábor Boldoczki viel zu pauschal. Besonders wenn man noch die klugen, ausgefeilten Deutungen der Wiener Klassik seines Vorgängers Lavard Skou Larsen im Ohr hat, konnte dieser Haydn nur milde enttäuschen. Dass das Trompetenkonzert dennoch zu einem grandiosen Ereignis wurde, lag allein am Solisten. Boldoczkis Spiel ist nahezu einzigartig. Sein Ton ist ansatzlos, biegsam, weich wie Butter. Seine Läufe kommen so flüssig daher, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Und der Ungar hat Sinn für Haydns Heiterkeit, seinen Humor, der blitzschnell umschlagen kann zu fast sentimentalen Kantilenen. So wie Boldoczki können nur wenige Trompeter ihr Instrument singen lassen.

Nach der Pause stand das Schwergewicht des Abends an: Beethovens 7. Sinfonie. Und plötzlich dirigierte Shwartz mit einer ganz anderen Intensität. Nun leitete er das Orchester mit dem Taktstock, Noten waren nicht mehr nötig. Und in der Tat schien sich der junge Amerikaner intensiv mit der Partitur auseinandergesetzt zu haben. Jeder Effekt, jede Wendung war kalkuliert. Die Sinfonie sollte in ihrer Gesamtarchitektur präsentiert werden. Daher ließ der Amerikaner die vier Sätze fast übergangslos aufeinanderfolgen, jedes neue Tempo stand in einer präzise berechneten Beziehung zu den Zeitmaßen der anderen Sätze. Den Kopfsatz dirigierte er nach einer sehr fein ausgearbeiteten Einleitung mit spannungsgeladenem jugendlichem Überschwang. Der zweite, langsame Satz war so durchhörbar, dass man einen fast schon räumlichen Eindruck der Musik gewann. Das Presto kam wendig, humorig und voller Überraschungseffekte daher. Und das finale Allegro con brio gestaltete Shwartz mit schier atemberaubender Schnelligkeit. Immer war sich der junge Dirigent bewusst, dass der präzise gestaltete Rhythmus die Seele dieser Sinfonie ist. So wackelte er niemals mit dem Tempo, schon gar nicht im Schlusssatz, der wie eine unerbittliche ekstatische Dampfwalze das Publikum überrollte. Dennoch inszenierte Shwartz schier unzählige Differenzierungen, ließ die Oboen oder Flöten hervortreten, das Orchester flüstern, baute gewaltige Steigerungen auf, bis die Sinfonie in einer Art Triumphgesang gipfelte.

Sicher, an diesem Konzertabend vermisste man ein wenig Champagner-Prickeln und Walzerseligkeit, dafür aber – um im Bild zu bleiben – wurde man schließlich mit einem orchestralen Feuerwerk entschädigt. Begeisterter Beifall im Festsaal.