Ingolstadt
Feste Verabredung am Dienstagabend

Wie es eine Handvoll VHS-Fans seit 28 Jahren in einem Italienisch-Kurs aushält

31.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:14 Uhr
  −Foto: Gülich, privat

Ingolstadt (DK) "Un po' di tutto - ein bisschen von allem" heißt der Untertitel des Dienstagabend-Italienischkurses, den Anneliese Martinsen an der Volkshochschule in Ingolstadt leitet.

Seit 28 Jahren lernt dort eine kleine Gruppe Italien-Fans zusammen die italienische Sprache. Nach so langer Zeit haben sich die Teilnehmer gut kennengelernt - inklusive vieler Macken und Vorlieben. Sie möchten ihre Dienstagabendverabredung nicht missen.

An diesem Abend steht ein Sachtext über eine Zweisprachigkeitsprüfung in Südtirol auf dem Unterrichtsprogramm. Keine leichte Kost! Abwechselnd wird gelesen, die nicht gleich verständlichen Stellen besprochen, der Inhalt diskutiert. "Ein bisschen von allem" als Kursprogramm, das bedeutet Konversation, Lektüre von Literatur und Zeitungsartikeln "und Grammatikwiederholung", wie Kursleiterin Anneliese Martinsen augenzwinkernd ergänzt. Den Kurs selbst hat sie vor Jahren "Appuntamento martedì sera" genannt: Verabredung am Dienstagabend. Der Name ist Programm: Obwohl die Gruppe in einem sterilen Berufsschul-Klassenzimmer sitzt, fühlt sich der Kurs eher wie ein freundschaftliches Treffen an. "Die Chemie stimmt", sagen die Teilnehmer. Dozentin Martinsen fügt zustimmend an: "Das ist eigentlich das wichtigste. Den Ablauf gestalte ich in allen Kursen ähnlich, manche bröckeln aber nach kurzer Zeit, manche halten sich ganz lang. Da passt dann einfach die Zusammensetzung. "

"Wir sehen uns ja gar nicht so viel, zwölf Mal ist Kurs pro Semester, das reicht gerade zum Drinbleiben, damit man nicht alles vergisst", erläutert Italienisch-Schüler Manfred Richter. Niemand der insgesamt sieben Kursteilnehmer hatte die Chance, seine Sprachkenntnisse über längere Zeit in Italien zu festigen. "Da ist man einfach nicht so tief drin in der Sprache. Man muss dran bleiben und immer wieder alles auffrischen und wiederholen", so Martinsen, die selbst zweisprachig aufgewachsen ist und sich deshalb im Deutschen und im Italienischen zu Hause fühlt.

Warum ausgerechnet Italienisch lernen? "Das ist eine superschöne Sprache", sind sich alle einig. Natürlich sind alle auch Italien-Fans. Es gibt regionale Vorlieben von Venedig bis Rom, der Toskana bis Sizilien, aber es sei in jedem Fall immer ein völlig anderer Urlaub, wenn man die Landessprache des Reiselandes spreche. "Und nebenher immer mal was fürs Hirn zu tun, ist auch nicht von Nachteil", sagt Kursteilnehmerin Petra Maier.

Anneliese Martinsen erinnert sich an ihre Schülerin Mitte der neunziger Jahre: "Das ist mir noch total präsent, denn Frau Maier hatte ihr Still-Baby mitgebracht. Das ist inzwischen längst erwachsen. " "Ja, längst", bestätigt Maier. Von ihrer ersten Italienisch-Stunde an sitzt sie neben Eva-Maria Schultheis. "Da kennt und schätzt man sich", sagen beide fast zeitgleich.

Der Kurs der beiden Frauen hat die VHS 1994 mit einem anderen zusammengelegt. Klaus Staffel und Toni Pirzer sind seit 1992 dabei, Gabi Bittl und Manfred Richter seit 1994. Neuzugang Markus Roßmeier ("unser Youngster") besucht den Kurs erst seit 2017 - und fühlt sich trotzdem wohl. Gelernt wurde zunächst im Katherl, in den Räumen des VHS und der Hohen Schule und bald dann in der Berufsschule am Brückenkopf. Richter hat Fotos von vor zwanzig Jahren mitgebracht. Erstaunlicherweise sieht alles ziemlich genau so aus wie heute: das Klassenzimmer, die Tische, Bücher, Hefte und Vokabellisten. Nur ein Whiteboard gibt es heute statt der alten grünen Tafel. "Ja, das ist wirklich so: dieselbe Zeit, derselbe Ort. Über all die Jahre! ", sagt Klaus Staffel - und ein bisschen Verwunderung liegt in seiner Stimme. Im Lauf der Zeit haben sich auch feste Plätze eingebürgert. "Ich krieg immer den an der Heizung", wirft Gabi Bittl lachend ein.

Kursleiterin Anneliese Martinsen, heute 78 Jahre alt, hat eigentlich in einer Apotheke gearbeitet und ist eher zufällig zum Italienischunterrichten gekommen. "Ich bin in Südtirol zweisprachig aufgewachsen und der Liebe wegen nach Ingolstadt gezogen. Als die Kinder nicht mehr ganz so klein waren und ich etwas mehr Freiraum hatte, hat mich die Sehnsucht nach der italienischen Sprache gepackt und ich habe einen Konversationskurs der VHS besucht. Da bin ich dann eingesprungen, als mal Not am Mann war", erzählt sie. Als sie sich dabei mit der VHS-Verwaltung ausgetauscht hat, was sie grundsätzlich wichtig fände in den Kursen, war sie sofort selbst als Dozentin engagiert - dabei ist es seit 40 Jahren bis heute geblieben.

Das ist laut Silvia Teschauer, Fachbereichsleitung für Fremdsprachen an der Ingolstädter VHS, "erfreulicherweise kein Einzelfall", wie sie sagt. "Anna Benini ist seit 1988 als Italienisch-Dozentin bei uns und sehr beliebt, ihre Kurse sind auch immer sehr gut besucht. Oder Sheila Waha: Sie unterrichtet seit 1984 Englisch. Einer ihrer Konversationskurse am Freitagvormittag besteht seit mittlerweile 35 Jahren - auch hier sind zwei Damen der allerersten Stunde immer noch dabei. " Frau Waha sei inzwischen ebenfalls über 70 Jahre alt, aber ihre Kurse jedes Semester ein Renner und meist schon am Tag der Offenen Tür, dem ersten möglichen Anmeldetag, komplett ausgebucht. Langjähriges Engagement und persönliche Bindung an die VHS seien zwar ebenso in anderen Fachbereichen zu finden, würden aber leider allgemein immer seltener.

Die Kursteilnehmer von Anneliese Martinsens "Verabredung am Dienstagabend" lernen nicht nur zusammen im Kurs, sie gehen auch regelmäßig gemeinsam aus. "Zum Essen vor Weihnachten oder zum Carrara Weinfest", berichtet Gabi Bittl. Außerdem versorge die Kursleiterin ihre Schüler des Öfteren mit italienischen Köstlichkeiten - in fester wie in flüssiger Form. Begeistertes zustimmendes Gemurmel im Klassenzimmer.

Als Anneliese Martinsen am Ende ihrer Kursstunde die wöchentlichen Hausaufgaben bekannt gibt, erzeugt sie damit nur ganz leises Stöhnen. Alle wollen gerne dran bleiben an der italienischen Sprache. Dazu gehört nun auch mal das Wiederholen zu Hause. Und sei es noch schnell am Dienstagnachmittag.

Anne Gülich