Ingolstadt
Ferndiagnose aus Niederbayern

Ein Irgertsheimer ist körperlich schwer beeinträchtigt, bekommt aber keinen Behindertenparkausweis

28.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:07 Uhr

Sein Schwerbehindertenausweis hilft Werner Högerle hier nichts: Damit darf er sein Auto nicht auf Behindertenparkplätzen abstellen. Das würde der Irgertsheimer aber gern, wenn er zum Arzt in die Innenstadt fährt, denn er ist lungen- und herzkrank, da werden längere Fußwege für ihn zu einer großen Anstrengung. Doch für die Sonderparkberechtigung aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) reicht es bei ihm nicht, sagt der Amtsarzt in der zuständigen Behörde in Landshut/Niederbayern. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Es ist für die Betroffenen ein ewiges Ärgernis: Obwohl sie unter schweren gesundheitlichen Problemen leiden, bekommen sie die Sonderparkberechtigung aG nicht, weil sie die Kriterien nicht erfüllen. Und es sieht nicht danach aus, dass sich das bald ändert, wie ein Fall aus Irgertsheim zeigt.

Wenn er nur noch einen Fuß hätte, wäre manches einfacher, zumindest das mit dem Parken. Das klingt zynisch, trifft die Stimmung von Werner Högerle aber gut. Der 69-jährige Irgertsheimer hat große gesundheitliche Probleme, er lag schon im Koma, überlebte einen Herzinfarkt und eine Krebserkrankung. Seit Jahren plagen ihn viele Leiden, er tut sich mit dem Laufen schwer, muss immer wieder stehen bleiben, längere Wege schafft er zu Fuß nicht. Deshalb hat Högerle die Sonderparkerlaubnis aG beantragt, mit der er sein Auto auf Behindertenparkplätzen sowie im Halteverbot abstellen darf. Doch vergebens. Trotz seiner starken Beeinträchtigung. Obwohl er zu 100 Prozent schwerbehindert ist. Die Abkürzung aG steht für außergewöhnliche Gehbehinderung; aber er bekommt den Ausweis nicht. Es muss das Merkzeichen aG sein, sagt Högerle, weil der Schwerbehindertenausweis nicht ausreicht, um Behindertenparkplätze benutzen zu dürfen.

Wie gesagt: Hätte er zum Beispiel nur einen Fuß, wäre das anders. Dann gäbe es die spezielle Parkberechtigung. "Aber bei mir ist nichts amputiert, und meine Leiden stehen bei den Behörden nicht im Katalog", erzählt er. "Jeder Antrag ist abgelehnt worden." Das zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales, Regionalstelle Niederbayern in Landshut (die auch oberbayerische Fälle bearbeitet, um die Kollegen dort zu entlasten), argumentiere, dass es seiner Begleitung zuzumuten sei, ihn zu fahren. Högerles Frau Maria ist immer dabei, wenn er zum Arzt und ins Krankenhaus muss, was bei all seinen Leiden oft nötig ist. Er sitzt auf kürzeren Strecken auch selber hinter dem Steuer, aber das Fahren ist ja nicht das Problem, sondern das Laufen. "Längere Wege sind einfach nicht drin! Da fühlen sich meine Füße an wie Butter. Und wenn wir in der Theresienstraße ankommen, wo mein Lungenfacharzt seine Praxis hat, sehen wir die Behindertenparkplätze, die eigentlich immer frei sind. Aber wir dürfen uns dort nicht hinstellen, weil ich keinen Behindertenparkausweis bekomme." Schwer zu verstehen, sagt er.

Der Irgertsheimer hat schon vieles versucht: Er hat den Antrag über das Ingolstädter Bürgeramt gestellt, über den Sozialverband VdK, er hat den Antrag selber eingereicht, mit seitenweise Attesten und Briefen seiner Ärzte in der Anlage. Alles vergeblich. "Keiner in der Behörde hat mich je gesehen", sagt Högerle. "Wie können die dann sagen, ich könnte ruhig laufen? Jeder Arzt sagt zu mir: ,Die in Landshut sollen bei mir anrufen, dann erkläre ich das' - aber es hat noch keiner angerufen." Es gebe auch einen Medizinischen Dienst. "Warum schickt man mich da nicht hin"

Und was sagt Landshut? Regierungsrat Ernst Tayler hat sich mit dem Amtsarzt den Fall Högerle ganz genau angeschaut. "Denn es ist unsere Aufgabe als Verwaltung, dass jeder das bekommt, was ihm zusteht." 50 Seiten Befunde - Arztbriefe, Atteste, Bescheinigungen des Klinikums -, die der Irgertsheimer seinen Anträgen beigefügt hat, arbeitete der Mediziner durch. Und er entschied, "dass die Befundlage ein ausreichendes Bild vom gesundheitlichen Zustand Herrn Högerles ergibt, so dass eine Untersuchung des Antragstellers nicht erforderlich ist", berichtet Tayler. Und die vorhandenen Unterlagen hätten den Arzt zu dem Entschluss gebracht: Es reiche bei Högerle nicht für den Behindertenparkausweis. Natürlich gebe es auch die Möglichkeit, dass der Arzt einen Antragsteller zu sich bittet und ihn untersucht, "wenn die schriftlichen Befunde für eine Entscheidung nicht ausreichen". Das sei bei Högerle aber nicht der Fall gewesen.

Sicher seien diese Prüfungen nie leicht, fügt der Regierungsrat an. Seine Behörde nehme jeden Antrag sehr ernst. Und er versichert: "Herr Högerle hat jederzeit die Möglichkeit, einen neuen Antrag zu stellen, wenn sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert, da gibt es keine Fristen."

Ja, die Hürden seien hoch, um das Merkzeichen aG zu erhalten, sagt Tayler. Er verweist auf die Gesetzeslage: die Verwaltungsvorschrift zu § 46, Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung. Sie lege fest, dass im Wesentlichen Querschnittsgelähmte, Rollstuhlfahrer und Doppelamputierte, also Menschen mit zwei Oberschenkelprothesen, den Behindertenparkausweis aG erhalten. "Das ist der Vergleichsmaßstab." Die strengen Vorschriften hätten auch einen politischen Hintergrund, sagt Tayler: Würde man mehr aG-Parkscheine ausstellen, müssten die Städte mehr Behindertenparkplätze bereitstellen, und das wollten sie nicht, auch deshalb, "weil sie damit keine Einnahmen erzielen". Die Verwaltung habe die Aufgabe, die Vorschriften zu vollziehen, sagt der Regierungsrat in Landshut. Wer daran etwas ändern will, müsse sich an die Politik wenden.