Beilngries
Fernab der Heimat heimisch geworden

Bei der Straßennamen-Serie geht es diesmal um den Bezug zu Flucht und Vertreibung

08.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:38 Uhr
Manchmal muss die Wahl eines Straßennamens auch nicht allzu kreativ, sondern zweckmäßig sein - ein Beispiel dafür ist die Ingolstädter Straße, die aus Beilngries hinaus in Richtung Ingolstadt führt. −Foto: Adam

Beilngries - Platz der Heimat, Sudetenstraße, Schlesierstraße, Böhmerwaldstraße, Ostpreußenstraße oder Königsberger Straße, das alles sind Straßennamen in der Beilngrieser Sandsiedlung, die eine besondere geschichtliche Bedeutung haben.

Sie erinnern an die vielen Heimatvertriebenen, die in der Nachkriegszeit in der Altmühlstadt dauerhaft oder zumindest vorübergehend eine neue Heimat fanden. Viele von ihnen schufen sich hier ihren neuen Lebensmittelpunkt - unter anfangs schwierigen Bedingungen, wie im DK-Archiv nachzulesen ist. "Fast jeder Winkel der Häuser war bewohnt, in 425 Häusern lebten 820 Familien. Hatte die Stadt Beilngries vor dem Zweiten Weltkrieg noch 2024 Einwohner, so waren es am 2. Oktober 1946 durch den Zuzug von Flüchtlingen und Evakuierten sowie 43 Ausländern bereits 3287 Personen. "

Viele der Evakuierten kehrten wieder nach Hamburg, Duisburg oder Nürnberg zurück. Die Heimatvertriebenen blieben: An Weihnachten 1946 waren noch 873 in Beilngries untergebracht. Der damalige Bürgermeister Rösch wies auf die schwierige Situation in seinem Verwaltungsbericht hin: "Infolge Fehlens von Öfen haust ein sehr großer Teil der Flüchtlinge in nicht heizbaren Räumlichkeiten; auch Betten und sonstige Einrichtungsgegenstände sind in nicht genügender Zahl vorhanden. " Die Schaffung des dringendsten Holz-, Kohle- und Brikettbedarfs stoße auf größere Schwierigkeiten. Und auch die Ernährungslage sei nicht gut, der große Mangel an Fett werde "als sehr unliebsam empfunden" und auch das Brot reiche nicht aus. Die Bestände an Kleidung und Schuhen deckten bei Weitem nicht den erforderlichen Bedarf, wurde in dem Bericht geschildert.

Die Verantwortung, den neuen Mitbürgern in vielen Bereichen zu helfen, war das eine. Aber auch das andere wird in den geschichtlichen Unterlagen nicht verschwiegen: Die Heimatvertriebenen waren nach dem Zweiten Weltkrieg in Beilngries beim Wiederaufbau tatkräftig mit aktiv. Für viele wurde die Altmühlstadt so zur zweiten Heimat, sie lebten hier, gründeten Familien und schufen sich engagiert ihre Existenzgrundlagen, wurden zu angesehenen Bürgern. 1948 hob man die Sudetendeutsche Landsmannschaft aus der Taufe, die Ortsgruppe Beilngries war bereits ein Jahr später der größte Verein auf Kreisebene. Heute erinnern zumindest noch die Straßennamen rund um die Parkanlage Platz der Heimat an die schweren Zeiten der damaligen Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebenen.

DK


Regine Adam