Wolfsburg
Ferdinand Piëch - Ein Leben in Extremen für das Automobil

14.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:18 Uhr
Ferdinand Piëch −Foto: Foto: Julian Stratenschulte (dpa)

Ferdinand Piëch hat eine beispiellose Karriere gemacht und aus Volkswagen einen Weltkonzern geformt. Doch der "Automanager des Jahrhunderts" ist auch tief gestürzt. Jetzt wird er 80.

Dem Sturz des Mächtigen wohnt stets etwas Tragisches inne. Vor fünf Jahren feierten die Oberen des VW-Konzerns ihren Patriarchen in Dresden noch mit wohlklingenden Elogen. Nun, zu Ferdinand Piëchs 80. Geburtstag, tun sich die Verantwortlichen des größten deutschen Industriekonzerns sichtlich schwer, den mittlerweile vom Hof gejagten "Alten" angemessen zu würdigen. Denn zu tief und schmerzhaft sind die Verletzungen, die sich Piëch und die Kontrolleure von Volkswagen - darunter auch etliche Mitglieder der VW-Großaktionärsfamilien Porsche und Piëch - seit 2015 gegenseitig zugefügt haben. Schmerzhaft insbesondere für den Enkel des berühmten Großvaters und Käfer-Mitentwicklers Ferdinand Porsche: Ihm wurde sein Lebenswerk aus den Händen genommen - allerdings nicht ohne eigenes Verschulden.

"Macht ist eine Leiter mit angesägten Sprossen", sagt Lord Chesterfield. Die erste Sprosse schneidet Ferdinand Piëch selbst mit einem seiner berühmten kurzen, gleichwohl vernichtenden Sätze an: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", verrät er im April 2015 einem "Spiegel"-Redakteur und löst damit in dem Wolfsburger Automobilimperium ein Erdbeben aus. Der Angriff auf Vorstandschef Martin Winterkorn verkehrt sich indes ins Gegenteil. Die VW-Kontrolleure bieten ihrem Primus die Stirn - nach dreiwöchigem erbittertem Machtkampf treten Piëch und seine Frau Ursula von allen ihren Aufsichtsratsposten zurück. Winterkorn bleibt dagegen im Sattel; erst im September stürzt er über die Diesel-Affäre.

Die nächste Sprosse bricht, als der einstige VW-Patriarch im Februar dieses Jahres versucht, vier Mitglieder des VW-Aufsichtsratspräsidiums - insbesondere seinen Cousin Wolfgang Porsche - abzusägen. Diese, so Piëch, seien von ihm bereits im Frühjahr 2015 auf Probleme in den USA im Zusammenhang mit den Abgas-Manipulationen hingewiesen worden - also weit vor dem öffentlichen Bekanntwerden von "Dieselgate" im September. Entsetzen in Wolfsburg: Das Kontrollgremium weist die Darstellung scharf zurück, man prüft Schadensersatzansprüche gegen den früheren Konzernchef.

Und damit gewinnt auch das fast schon notorische Gezänk im Familienclan der Porsches und Piëchs weiter an Schärfe. Der Streit eskaliert derart, dass Ferdinand Piëch den größten Teil seiner Beteiligung an der Porsche SE - die Holding hält die Mehrheit der VW-Stimmrechte - an seinen jüngeren Bruder Hans Michel, Rechtsanwalt in Wien, verkauft. Auch seinen Porsche-Aufsichtsratsposten will er abgeben. Eine bittere, aber wohl folgerichtige Konsequenz eines Lebens in Extremen.

"Mit Vollgas auf dem Weg nach oben - das ist mein Traum", hat Ferdinand Piëch einmal beschrieben, was ihn antreibt. Und "oben" hieß für ihn stets, einmal ein größeres Unternehmen zu führen als sein Großvater Ferdinand Porsche. Das ist ihm zweifelsohne gelungen. Doch woher kommt dieser unbändige Ehrgeiz, diese Verbissenheit? Viele vermuten den Grund dafür in Piëchs Herkunft: Am 17. April 1937 als Sohn des Wiener Anwalts Anton Piëch und der Porsche-Tochter Louise geboren, trägt er nicht den Namen der berühmten Porsches. Freilich ist er für sie tätig. Nach dem Maschinenbaustudium tritt er 1963 in die Stuttgarter Sportwagenschmiede ein, wo er es bis 1971 zum Technischen Geschäftsführer bringt. Die rasante Karriere wird indes abrupt gebremst, als sich die Familie - der Streiterei überdrüssig - aus dem operativen Geschäft zurückzieht.

Piëch mag dies als Zurücksetzung empfunden haben, er geht 1972 zum Autobauer Audi, der im gleichen Jahr von VW übernommen wird. Drei Jahre später sitzt er als Entwicklungschef im Vorstand und übernimmt dort 1988 den Vorsitz. Der begnadete, aber spröde, ja unterkühlt wirkende Techniker und Visionär bringt das Unternehmen auf Vordermann. Der Quattro-Antrieb, der direkt einspritzende TDI-Motor oder die vollverzinkte Karosserie sind mit seinem Namen verbunden.

Aber Piëch will mehr: "Dort, wo ich bin, versuche ich immer, der Erste zu sein." 1993 wird er Nachfolger von VW-Boss Carl H. Hahn und rettet den angeschlagenen Konzern vor der Pleite. Später sagt er: "VW war ein Krebspatient, der sich selbst aufgegeben hatte." Piëch operiert bei dem Patienten auch noch als Aufsichtsratschef ab 2002 mit tiefen Schnitten, etliche Manager fallen - wie zuvor schon bei Audi - seinen radikalen Maßnahmen zum Opfer. "Leichen pflastern seinen Weg", schreibt später sein Biograf Wolfgang Fürweger. Und der frühere US-Automanager Bob Lutz urteilt: "Der Typ war absolut brutal." Gleichwohl hat der "Alte", wie Piëch intern ehrfurchtsvoll genannt wird, Erfolg. Aus dem Sanierungsfall VW macht er einen innovativen Großkonzern mit zwölf Marken und gut 600 000 Beschäftigten.

Bei aller Unnahbarkeit, die Piëch nach außen an den Tag legt, gilt der Vater von zwölf Kindern im Privaten sowie im Kreis enger Vertrauter als ein durchaus geselliger Mensch mit einem Schuss Selbstironie und herbem Humor. Er schätzt das Hochseesegeln, Motorräder und schnelle Sportwagen. Ansonsten lebt er eher zurückgezogen in Salzburg, auf Promi-Partys wurde er nie gesichtet. Er sei "eigentlich ganz anders", komme aber nur so selten dazu, sagt Piëch einmal, als er noch im Konzern aktiv ist. Jetzt hat er genügend Gelegenheit, er selbst zu sein. Und dies bereits in der Gewissheit, dereinst in die Geschichtsbücher einzugehen. "Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt" - Seneca.