München
Faszinierende Seelenanalyse

Uraufführung der Theaterfassung von E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" im Marstalltheater

09.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:14 Uhr
Zwischen Konventionen und Abgründen: Manfred Zapathka (links) als philisterhaftes Familienoberhaupt und der traumatisierte Oliver Möller als Sohn Nathanael, der als Kind im Sandmann den Mörder seines Vaters zu erkennen glaubte. −Foto: Horn

München (DK) Als "Gespenster-Hoffmann" ging er in die Literaturgeschichte ein. Denn Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776-1822), preußischer Justizbeamter, Komponist, Dirigent, Musikkritiker, Zeichner, Karikaturist und bedeutender Schriftsteller der deutschen Romantik, verfasste auch zahlreiche Märchen und Spukgeschichten, "Nachtstücke" genannt, in denen das Unheimliche und Irrationale, Wirklichkeit und Wahn eine Verbindung eingehen.

So auch in der Erzählung "Der Sandmann" vom Jahre 1816, die Angela Obst und der Regisseur Robert Gerloff in eine vom Original abweichende Theaterfassung umgearbeitet haben und die nun als Uraufführung im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels vom Premierenpublikum stürmisch gefeiert wurde.

Von Nathanaels Kindheitstrauma kündet das Stück, als er einst eines Abends vor dem Einschlafen in dem ihm erschienenen Sandmann den Mörder seines Vaters zu erkennen glaubte. Dieses Horrorerlebnis lässt ihn nicht mehr los, vor allem als er Jahre später einem Alchimisten begegnet, der, wovon Nathanael fest überzeugt ist, mit diesem Sandmann identisch ist. Und dieser gar nicht so Fremde (aalglatt und unheimlich: Aurel Manthei) verkauft ihm ein Fernglas, mit dem er die attraktive und begehrenswerte Olimpia beobachten kann, um deren Liebe er massiv buhlt. Doch vergebens: Olimpia ist kein Mädchen, sondern eine Puppe. Weshalb Nathanael (Oliver Möller) sich nach Klara, Olimpias alter Ego (Anna Graenzer in der Doppelrolle), in Liebe verzehrt. Doch auch sie kann den vom kindlichen Albtraum in seiner Seele Zerstörten nicht retten und ihn vor dem totalen Absturz ins Nirwana auch nicht bewahren.

Keine Spukgeschichte, sondern eine die Tiefen der Psychoanalyse und Psychopathologie auslotende Theaterfassung gibt es hier zu sehen und zu erleben. Und doch ist alles unheimlich: Das über der Bühne rotierende Auge des "Big brothers", die in ihrer Spießigkeit und bürgerlichen Beengtheit ausgestellte Pseudoidylle eines altdeutschen Wohnzimmers (von Maximilian Lindner) mit den in Konventionen gefangenen Nathanael-Eltern (Manfred Zapatka als philisterhaftes Familienoberhaupt und Arthur Klemt als betuliche Mutter sowie als Nathanaels naiv-treuherziger Bruder). Dazu die bei gedämpftem Licht auf der Drehbühne servierten Schlaglichter auf E.T.A. Hoffmanns anfängliche Napoleon-Begeisterung und spätere Abscheu vor "dem Dämon" und auf das politische Geschehen vom Wiener Kongress 1814/15 über die liberalen Vormärz-Forderungen des aufgeklärten Bürgertums bis hin zur Revolution von 1848.

In 20 Kapitel wird diese "Sandmann"-Bearbeitung und -Inszenierung vor dem Hintergrund der wichtigsten historischen Ereignisse der damaligen Zeit mit großartigen Schauspielerleistungen präsentiert. Zweifellos sehr anspruchsvoll ist diese Produktion, aber in der Darstellung der Düsternis in den Seelen aller Protagonisten auch ungemein faszinierend.
ZUM STÜCK
Theater:
Marstalltheater, München
Regie:
Robert Gerloff
Bühne:
Maximilian Lindner
Dauer:
2 Stunden
Nächste Vorstellungen:
14. und 20. April, 9., 12., 24. Mai
Kartentelefon:
(089) 2185-1940