Farbiges Weiß, flächige Räume

Das Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt zeigt beeindruckende Werke von Inge Dick und Susa Templin

25.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:24 Uhr
  −Foto: Museum, jsr

Ingolstadt - Im Herbst 2012 begann die Künstlerin Inge Dick mit einem Experiment: Sie wollte die Farbe des Lichts sichtbar machen. In ihrem Atelier im Dachgeschoss eines Gebäudes am österreichischen Mondsee richtete sie eine Filmkamera auf eine weiße Fläche. Um alle Störungen auszuschließen, hatte sie das gesamte Umfeld vorher weiß ausgekleidet, allein das Licht, das aus den großen Fenstern strömte, sollte die weiße Wandfläche verändern. Sie filmte die Fläche drei Tage lang ununterbrochen. "Niemand wusste genau, was da zu sehen sein wird", erzählte sie später. "Als wir uns das Material anschauten, herrschte absolutes Erstaunen." Warum?

 

Inge Dick, die in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden ist, verwendete einen einzigen, aber entscheidenden Trick bei der Filmaufnahme: Anders als sonst üblich veränderte sie den Weißabgleich der Kamera nicht. Normalerweise adaptiert die Kamera sich automatisch an die Farbtemperatur des Lichtes. Weiße Flächen sollen - egal ob das eher rötliche Licht des Abends scheint oder das eher bläuliche des Morgens - in gleicher Weise als weiß erscheinen. Auf diese automatische Funktion verzichtete Inge Dick. Das Ergebnis war überraschend: Die reine Farbigkeit des Lichts über Tage hinweg trat hervor. Eine Aufzeichnung, die zeigte, wie die weiße Wand in mal zarten, dann wieder kräftigen Farben leuchtet, wie sich über Minuten und Stunden hinweg Farben entwickeln und ineinander übergehen.

Gleichzeitig ist zu sehen, wie sich äußere Ereignisse in den Farben widerspiegeln. Ein Schneesturm erzeugt blassbläuliche Weißtöne, die sich schnell verändern, Wolken trüben das rötliche Licht ein. Um die Vorgänge deutlich zu machten, druckte sie einzelne Filmstills aus und kombinierte sie zu einem großen Bild, das wie ein riesiges Farbmuster aussieht und den Lichtverlauf mehrerer Tage dokumentiert. Die Bilder des Projekts "jahres licht weiß" sind nun im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt zu sehen.

Dick zeigt auch in ihren riesenhaften Bildern, wie sich die Jahreszeiten voneinander unterscheiden: So ist der Sommer eher von pastellhaft weichen Tönen geprägt, während der Frühling von deutlich kräftigeren Farben bestimmt ist.

 

Der Titel der Ausstellung lautet "Raum - Licht - Zeit". Darum geht es bei Inge Dick, sie zeigt, wie sich das Licht im Raum und in der Zeit verändert. Aber davon handeln - in gänzlich anderer Weise - auch die Werke von Susa Templin aus Frankfurt, die im zweiten Geschoss des Museums präsentiert werden. Auch Templin arbeitet mit einer Kamera, allerdings einer analogen. Auch sie konzentriert sich immer wieder auf die Farbigkeit des Materials, das sie allerdings meist künstlich mit Filtern erzeugt. Aber im Zentrum von Templins Werk steht letztlich die Räumlichkeit. Die Fotografie wird meist als ein technisches Verfahren verstanden, das eine dreidimensionale Situation auf eine Fläche überträgt. Templin allerdings scheint dieses Gesetz durchbrechen zu wollen. Sie konstruiert mit Fotos neue Räume. Ihre Werke haben eher etwas mit Malerei und Bildhauerei zu tun, die Fotografie ist lediglich das Medium.

Durch Doppelbelichtungen erweitert sie unser Konzept von Räumlichkeit, zeigt etwa Veränderungen des Raums im Laufe des Tages. Das erinnert an den theoretischen Ansatz der Kubisten. Oder sie konstruierte Räume wie kleine Bühnen aus Pappe, in die sie Fotografien von anderen Räumen aufhängt. Diese Situationen fotografiert sie erneut ab.

So entstehen abgebildete Räume von Räumen, irrlichternde Zustände, in denen Bild und Dreidimensionalität aufgehoben erscheinen. Am radikalsten ist das verwirklicht in dem Labyrinth im zweiten Obergeschoss, das speziell für das Museum gestaltet wurde. In dieser Welt aus halbtransparenten Fotos aus Plexiglas, aus Stahlträgern und Bildern, aus Reflexionen und unterschiedlichen Perspektiven verschwimmt das, was wir gewöhnlich unter Bild, Raum und Zeit verstehen.

DK


Die Schau wird am Samstag, 26. Juni, um 18 Uhr digital eröffnet. Ein Zugangslink findet sich auf der Homepage des Museums. Ab 19.30 Uhr steht eine begrenzte Zahl an Tickets für einen Besuch zur Verfügung.

 

Jesko Schulze-Reimpell