Farben der Insel-Stadt

Die Arbeiten von Karl Horst Hödicke spiegeln ein vergangenes Berlin - Retrospektive in München

20.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:01 Uhr
2 von rund 250 Werken: Die "monumentale Stadtansicht" und "U-Bahn" von K. H. Hödicke sind in München in der Pinakothek der Moderne ausgestellt. −Foto: Staatliche Graphische Sammlung München, Roman März, VG Bild-Kunst, Bonn

München - Der Künstler Karl Horst Hödicke steht für ein lautes, wildes und verrücktes Leben, das sich abseits offizieller Strukturen in Berlin entfaltete.

Vor allem in den 1970er Jahren, als Hausbesetzer das Recht auf bezahlbaren Wohnraum einforderten, als Kellergalerien und Hinterhof-Kulturzentren aufblühten und sich die alternative Szene 1978 mit der "taz" ein eigenes Sprachorgan schuf, lehrte Hödicke Malerei an der Berliner Hochschule der Künste und wurde einflussreich für jene "Neuen Wilden", die in den frühen 1980er Jahren die figurative Malerei wiederentdeckten.

Jetzt lässt sich dieser wilde Maler, der inzwischen 82 Jahre alt ist, neu in den Blick nehmen in einer Ausstellung der Graphischen Sammlung, die rund 250 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und wenige kleine Skulpturen von ihm ausbreitet unter dem Titel "K. H. Hödicke - Eine Retrospektive".

"Das Berlin, das ich gemalt habe, gibt es nicht mehr, es ist weg. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas male, das morgen nicht mehr existiert. " Zitate wie dieses erläutern plakatgroße Bilder von Hödicke, die eine "Späte Telefonzelle" in Gelb und Schwarz zeigen oder eine "Autokarosserie in den Dünen vor der Mauer" - beide Werke sind 1978 entstanden in jener geteilten Stadt, in der Straßen im Nichts endeten und Ruinen im märkischen Sandboden zu versinken schienen. Mit schwungvollem Strich deutet der Maler Umrisse an, zugleich wählt er mit Bedacht ausgewählte Farben zum Bildthema. Die Flüchtigkeit eines Eindrucks, das Ungefähre dieser Insel-Stadt und die Leuchtkraft von Reklame-Schriften - all das hält Hödicke fest. Geboren wurde er 1938 in Nürnberg, 1945 floh seine Familie nach Wien, wo die Mutter verstarb. Die Kindheit erlebte er dann in München, mit 19 Jahren kommt er nach Berlin und studiert Malerei an jener Hochschule, an der er bis 2005 lehrt. In der Nachkriegszeit regierte hier wie in der übrigen westlichen Welt das Diktat der Abstraktion, es entwickelte sich der Abstrakte Expressionismus und das Informel - also eine gegenstandslose Kunst, die dynamische Maltechniken anwendet.

Dem wilden Klecksen und Spritzen widerspricht Hödicke mit seinem Stil, indem er realistische Bildwelten auf die Leinwand und aufs Papier wirft. Oft stehen Details für das Ganze: eine Hand für den gesamten Körper des Gekreuzigten oder die Quadrate von Pflastersteinen für die im Regen aufleuchtende Stadt. Eine ganze Serie widmet sich den Schrifttypen, die als Reklame von den Häusern leuchten und mal für Pralinen, mal für Apotheken werben.

Zwei ganze Räume der Ausstellung sind schwarz gestrichen, und aus diesem Dunkel strahlen die plakatgroßen Werke besonders gut hervor. Der Künstler erläutert seine Arbeitsweise so: "Man setzt eine Farbe ins Bild und dann bestimmt sie, wie es weitergeht. Ich habe immer versucht, diesen Zustand nicht auszubremsen und sie malen zu lassen. Am liebsten ist es mir, wenn das Motiv auf diese Weise erscheint. " Für den Maler ist es also die Farbe, die letztlich über das Thema und die Form entscheidet. So wird aus tiefem Olivgrün die Form einer einzelnen Pappel, die der Künstler dann auf der Leinwand vervielfacht. Die Arbeiten auf Papier sind sozusagen das visuelle Gedächtnis des Künstlers - ein Fundus an Formen und Farben, aus denen er wieder und wieder schöpft. Dennoch sind sie eigenständige Werke, zeigen eine beleuchtete Pagode bei Nacht oder einen müden Mann mit schweren Schultern. Dabei experimentiert er sowohl mit leicht- als auch mit zähflüssigen Farben: Er malt schnell und macht sich dadurch mit dem Sujet vertraut.
Museen, Kunstsammlungen und Galerien haben seit 1964 Werke von Hödicke in Ausstellungen gezeigt, dennoch ist es ruhig geworden um diesen Maler. Die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne könnte dazu beitragen, ihn neu zu entdecken.

DK


Graphische Sammlung der Pinakothek der Moderne München: bis zum 13. September, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Besuch mit Mund-Nasen-Schutz. Weitere Infos unter www. pinakotheken. de.

Annette Krauß