Ingolstadt
Familienmitglied auf Zeit

Au-pairs aus Gastfamilien in Ingolstadt und Umgebung berichten von ihren Erfahrungen

18.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:45 Uhr
Internationales Picknick: Mobile Familie organisierte vor Kurzem ein Treffen der Au-pairs, die der Verein in Gastfamilien vermittelt hat. Die jungen Leute bleiben meist ein Jahr in Deutschland. −Foto: Foto: Brandl

Ingolstadt (mbl) Wer in Ingolstadt als Au-pair anheuert, lernt nicht nur bewusst eine andere Kultur, deren Sprache und neue Gepflogenheiten kennen, sondern kümmert sich in der Gastfamilie auch mit um das Kinderhüten und den Haushalt. Nebenbei bleibt oft sogar Zeit, um die eigenen Backkünste zu verfeinern. Vier junge Frauen und ein junger Mann erzählen von ihren schönen neuen Erfahrungen in Bayern.

Kuchen backen - eine typisch deutsche Freizeitbeschäftigung, die man in China so nicht kennt, weiß Jing, die seit fast einem Jahr als Au-pair-Mädchen in Ingolstadt arbeitet. Die 22-jährige Studentin aus der Nähe von Peking hat das Backen von Kuchen und Plätzchen während ihres Aufenthalts geradezu liebgewonnen, wie gut zu erkennen ist. Stolz zeigt sie Handy-Fotos von den süßen Resultaten. "In China gehen die Leute zum Bäcker, wenn sie Kuchen möchten", sagt sie. Das könnte sich ändern, haben die Chinesen erst einmal von Jings Kuchen probiert.
16 Au-pairs befinden sich derzeit über den zertifizierten Vermittlungsservice des Vereins Mobile Familie in Gastfamilien in Ingolstadt und Umgebung, darunter mit Gabriel Figuera Garcia auch ein Au-pair-Junge. Der 18-jährige Kolumbianer aus der Nähe von Bogota ist seit Anfang Juni in Ingolstadt und lebt in einer Familie mit drei kleinen Buben. Später möchte er Architektur studieren, erzählt er. "Ich wollte reisen, Europa sehen, weil ich mich für die europäische Geschichte interessiere", nennt er Gründe für seinen Entschluss. Europa und das Erlernen der deutschen Sprache stehen bei den jungen Erwachsenen aus Asien und Südamerika ohnehin hoch im Kurs, wird in den Gesprächen deutlich. Englisch spreche heute schließlich jeder, sagen sie. Auch mit ihrer Heimat auf Zeit haben sie sich auseinandergesetzt. "Wir wissen, dass Ingolstadt eine reiche und sichere Stadt ist", sagt beispielsweise Kristel (25) von den Philippinen. Thi Chinh Nguyen (23) aus Vietnam schätzt die frische Luft, die Modernität und die im Sommer halbwegs erträglichen Temperaturen. "In meiner Heimat ist es jetzt um die 40 Grad heiß", sagt sie.
Birgit Breitmeier, die den Vermittlungsservice von Mobile Familie leitet, geht es beim Thema Au-pair zudem um den sozialen Aspekt: "Wir haben in Ingolstadt eine große Nachfrage bei der Kinderbetreuung", sagt sie. Eine Au-pair-Kraft zu engagieren, sei deshalb eine Alternative zum womöglich fehlenden Kita-Platz. Zugleich trage Au-pair dazu bei, die Scheu voreinander abzubauen. Immerhin lebt das Au-pair-Mädchen oder der Au-pair-Junge bis zu zwölf Monate in der Gastfamilie. Darunter in Familien, in denen beide Ehepartner berufstätig sind, aber auch bei alleinerziehenden Müttern. Unterschiedliche Auffassungen gebe es bei der Förderung im Spiel mit den Kindern. "Au-pairs verstehen nicht immer sofort, dass die Kinder möglichst viel aktiv beschäftigt und nicht nur beaufsichtigt werden sollen", sagt Breitmeier.
Die Au-pairs, die mit dem DK sprechen, können von vielen positiven Erfahrungen berichten. Sie seien "sehr nett und freundlich" aufgenommen worden, heißt es. Lediglich das Taschengeld sei in deutschen Familien nicht so hoch wie in anderen Ländern. "Ich habe viel gelernt", sagt Kristel und zählt als Beispiele Planung, Warten an der Ampel und die den Deutschen eigene, hektische Betriebsamkeit auf. "Die Menschen hier wollen immer etwas tun und sich nicht ausruhen", so ihr Eindruck. Wirklich Grund zur Klage verursachte bei Thi Chinh Nguyen nur die Deutsche Bahn. "Die hat oft Verspätung", sagt sie lachend. Zu spät zu kommen, das sei auf den Philippinen sogar ein Teil der Kultur, bemerkt Kristel daraufhin. Xin Qi Wang (22) hat mit ihrer Gastfamilie ein klassisches Konzert besucht. "Klassik habe ich in China noch nie gehört", räumt sie ein.
Auch das Thema Flüchtlinge, das Europa beschäftigt, hinterlässt Spuren im Au-pair-Dasein. Gabriel findet es gut, dass Deutschland so viel Hilfe leistet. Und selbst in China habe man Notiz genommen von der Situation, berichtet Jing. Auch von den unschönen Vorfällen. "Meine Familie sorgt sich ein wenig um mich", sagt sie schließlich. In zwei Monaten wird sie zurückkehren. Dann werden Abschiedskummer und Wiedersehensfreude zugleich die Emotionen beherrschen. Ein wenig traurig werde sie wohl sein, denkt Jing. "Aber ich freue mich auch, meine Eltern wieder zu sehen - und meinen Hund."

Apropos Hunde: Auch so ein Klischee, das die Europäer über Chinesen pflegen: "Die glauben immer, wir essen Hunde", bemerkt Jing verschmitzt und zugleich ein wenig verlegen.

Michael Brandl