Ingolstadt
Familie, Heimat, Flucht und Ankommen

Der Illustrator und Geschichtenerzähler Mehrdad Zaeri im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt

22.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:57 Uhr

Ingolstadt - Der Titel war schlicht: "Ein Abend mit Iris Wolff und Mehrdad Zaeri" war auf der Leinwand im Erdgeschoss des Museums für Konkrete Kunst zu lesen.

Doch entfaltete sich während des zweiten Abends der Ingolstädter Herbst-Literaturtage am Mittwoch im Gespräch der Fleißerpreisträgerin mit dem Illustrator eine Zeitreise zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Außenwelt und Innenleben, zwischen Fakten und Fantasie ein flirrender Kosmos, der das - den Hygieneregeln konform stark reduzierte - Publikum nachdenken, lachen, träumen ließ, zu Fragen und zum Mitmachen anregte.

Denn Mehrdad Zaeri stellte gegen Ende des Abends zeichnend unter Beweis, dass er für ein Bild nicht lange überlegt. Er sei stets spontan: "Es beginnt immer mit Kritzikratzel. " Sprach's, verbarg sich halb hinter dem Flipchart und malte dergestalt nicht hinsehend frei Punkte, Halbkreise, kurze Linien. "Was sehen Sie? ", fragte er. Eine Frau, eine Blume, ein Berg, kam es zögerlich. Schon zeichnete Zaeri und erzählte. Die Frau als seine Mutter, mit ihren vier Kindern im Boot, dazu der Vater, das Gepäck, im Hintergrund einen Berg, darauf das Haus im Iran, das die Familie 1984 verließ, dort auch die Großeltern, die Katzen - "es waren wohl an die zehn, die bei uns lebten! "

Es ist die Geschichte seines Lebens, die Geschichte seiner Familie. Und die Geschichte vieler Geflüchteter und Ausgewanderter, die ihre Heimat verlassen. Äußerlich. Innen tragen sie die Heimat, manchmal sogar für sie verborgen, mit. Als Prägungen, als "Gerüche, Farben, Musik, Bilder, als Gespräche mit Freunden und Verwandten", war sich Mehrdad Zaeri mit Iris Wolff einig. Auch für Iris Wolff und ihre Literatur spielen Landschaft, Menschen und Geschichten aus Siebenbürgen, woher sie 1985 als Achtjährige mit ihrer Familie nach Deutschland übersiedelte, eine entscheidende Rolle.

Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrungen lautete ihre erste an den von ihr ursprünglich für ihr "Festival im Festival" vom Frühsommer auf 2021 verschobenen 27. Ingolstädter Literaturtage eingeladenen Zaeri: "Was bedeutet für dich Familie und Freundschaft? " Familie sei sein Fundament, der Grund, weshalb er hier sei, als Künstler hier sein könne. Kurz nach der Iranischen Revolution habe sein Vater, der Arzt Hosein Zaeri-Esfahani, gesagt: "Entweder alle zusammen oder keiner". Freundschaften verstärkten zwar dieses Fundament, änderten sich aber auch im Laufe eines Lebens.

Mitgebracht habe er aus dem Iran die Kunst der Improvisation, die durch die Flucht-Erfahrungen verstärkt wurden. "Wir werden uns integrieren! ", lautete die Ansage seines Vaters. Seine Schwester, Autorin Mernousch Zaeri-Esfahani, habe Integration als einen Berg bezeichnet, den es zu besteigen gelte, die Heimat als Rucksack. "Wir Kinder haben den Rucksack, das schwere Gepäck, abgeworfen und sind den Berg hinaufgerannt", erzählte Zaeri. Freundschaften habe er über seine Zeichnungen gefunden - "Stars aus der ,Bravo Girl'! " gemalt und verschenkt. Und mit Höflichkeit. Er habe alle gesiezt um zu beweisen, dass er, der dunkelhaarige Fremde, ein guter Mensch sei: "Sie können sich vorstellen, wie das unter 14- und 15-Jährigen gewirkt hat! ", sagte er unter dem Lachen des Publikums.

Sein Weg vom malenden Taxifahrer zum Buch-Illustrator und - gemeinsam mit seiner Frau Christina Laube - Open-Art-Künstler sei von all dem geprägt. Geduld und Glück haben geholfen, auch Mut, Neues auszuprobieren wie bei der Open-Art. Hierzu hatte Zaeri ein Video mitgebracht, in dem er und seine Frau einen riesigen Fisch auf eine Parkhauswand in Rosenheim zeichnen, der im Korb ein Paar und seinen Hund "Heimwärts" trägt - so der Titel des Bildes. Mit dem Zeichnen erzähle er Geschichten, die aus dem Inneren kommen, die ihm andere erzählen. Wie an Abenden wie diesem. "Solche Begegnungen sind Lebenselixier. "

DK

Barbara Fröhlich