Salzburg
Falstaff im Altersheim

Elegische Neuinszenierung von Verdis Spätwerk im Salzburger Haus für Mozart

30.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:50 Uhr

Salzburg (DK) Während das Orchester und das Publikum ihre Plätze einnehmen, rauscht ein nervtötendes Video über den Bühnenvorhang. Eine Straßenkreuzung in Mailand ist zu sehen, die im Gewurl von Autos, Lastwagen, Omnibussen und Motorrädern und deren Lärm geradezu erstickt. Es ist der Platz vor der „Casa di Riposo per Musicisti“ genannten Villa Verdi, die der Komponist in seinen letzten Lebensjahren als Ruhe- und Alterssitz für die Sängerinnen und Sänger seiner Werke gestiftet hat. Was zunächst gewaltig irritiert, entpuppt sich bald als faszinierende Grundidee dieser „Falstaff“-Neuinszenierung des aus Venedig stammenden, verheißungsvollen Jungregisseurs Damiano Michieletto, der mit seinem Bühnenbildner Paolo Fantin diese Oper vom ansonsten üblichen Klamauk restlos befreit hat. Stattdessen Elegie und Melancholie. Dies aber satt.

Sir John Falstaff ist hier kein Schwerenöter im Gasthaus „Zum Hosenband“ in Windsor, sondern ein Mitbewohner in diesem Mailänder Altersheim für ehemalige Primadonnen, gefeierte Heldentenöre und andere Opernstars, denen das Publikum einst zu Füßen lag. Jetzt sitzen sie alle gebrechlich, teilweise dement, im Aufenthaltsraum dieser Villa. Sanfte Klaviermusik und Smalltalk, soweit noch möglich, bis die Betreuer zu den ersten Takten aus Verdis letzter Oper die Seniorinnen und Senioren in den Nebenraum führen, wo das Abendessen serviert wird. Nur einer bleibt in dem feudalen, in Ehren ergrauten Salon zurück: Falstaff.

Auf einer blauen Couch ist er eingeschlafen. Er träumt. Erinnerungen an ehedem glorreiche Zeiten, tatsächliche oder fiktive Erfolge und Misserfolge in seinem Leben gerinnen zu lebendigen Bildern. Vor allem seine Love-Affairs erscheinen als vergoldete Reminiszenzen: Keck und lasziv bezirzen ihn Alice Ford und Meg Page als ganz in Weiß gekleidete Bräute, um schließlich zusammen mit Mrs. Quickly und Alices Tochter Nannetta in sexy Unterwäsche den Plan zu schmieden, den alten Schürzenjäger hereinzulegen. Und dass der Korb, in dem die Frauen ihn verstecken, hier ein Behälter mit Schmutzwäsche der Altenheimbewohner ist, versteht sich in dieser trotz aller herrlich arrangierten Turbulenzen von Tristesse durchzogenen Inszenierung von selbst.

Klar auch, dass bei all diesen Albtraumvisionen Mr. Ford als eifersüchtiges Krümelmonster ihm erscheint und dass er bei der Geisterparade im nächtlichen Park seine eigene Beerdigung miterleben muss. Nein, nichts ist hier „Spaß auf Erden“, wie das versöhnliche Finale uns verkündet, sondern diese hochintelligente „Falstaff“-Interpretation zeigt mit ihrer aberwitzigen Situationskomik letztlich die traurige Lebensbilanz eines Oldie-Charmeurs, die zu erotischen Altherrenträumen und Horrorszenarien geronnen ist.

Furios ließ Zubin Mehta Verdis Musik hier geradezu erglühen, und er feuerte die Wiener Philharmoniker zum ebenso kraftvollen wie einfühlsamen Musizieren an. Ein einziger Klanggenuss. Dazu ein Ensemble voll Stimmenpracht und schauspielerischer Brillanz. Allen voran natürlich Ambrogio Maestri in der Titelpartie mit mächtigem Bariton und einer prachtvollen Bühnenpräsenz. Rundum bezaubernd die Damencrew: Fiorenza Cedolins und Eleonora Buratto mit betörendem Sopran als Alice Ford und deren Tochter Nannetta, während Stephanie Houtzeel (Mrs. Meg Page) und vor allem Elisabeth Kulman (Mrs. Quickly) voll Spielfreude und Gesangsvergnügen schier übersprudelten.

Jubel über Jubel des Salzburger Festspielpublikums über diese gegen den Strich gebürstete Verdi-Neuinszenierung im Haus für Mozart.

Weitere Aufführungen am 3., 4., 6. und 7. August; Karten gibt es unter der Telefonnummer (00 43) 6 62-80 45-5 00. 3Sat überträgt die Aufführung am 3. August um 19 Uhr.