Ingolstadt
Fahrradhändler stehen vor einem Lieferengpass

Hersteller können Anfragen nicht decken - Fritz Reischl: "Eine unfassbare Situation"

18.02.2021 | Stand 23.09.2023, 17:06 Uhr
Timo Schoch
So gefragt wie Klopapier im ersten Lockdown: Bei den Fahrrädern herrschen aufgrund der hohen Nachfrage Lieferengpässe. Fritz Reischl vom Ingolstädter Radhaus mit Tochter Patricia. −Foto: Timo Schoch

Ingolstadt - Das Fahrrad war im vergangenen Jahr das neue Klopapier.

Denn während zur ersten Lockdown-Zeit des Corona-Virus das Klopapier ausverkauft war, gab es nach der Aufhebung des Lockdowns kaum noch Fahrräder mehr bei den Einzelhändlern. Eine ähnliche Situation droht auch in diesem Jahr.

Fritz Reischl schüttelt mit dem Kopf, als er die Treppenstufen zur Mountainbike-Abteilung hochsteigt. "Es ist eine echt schräge Situation", sagt der Geschäftsführer des Ingolstädter Radhauses und Vorstand der Bike Group, bei der 22 inhabergeführte Fahrrad-Einzelhandelsunternehmen mit 28 Fachbetrieben im gesamten Bundesgebiet vertreten sind. "Die Nachfrage nach den Rädern wird auch in diesem Jahr hoch sein. Denn die Leute wollen raus, aktiv sein und mit dem Fahrrad kann man Corona-konform unterwegs sein", sagt Reischl. "Auch die E-Bikes werden durch diese Situation beflügelt. " Allerdings gäbe es einen großen Haken. "Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Das ist eigentlich eine unfassbare Situation. " Das heißt: Die Nachfrage ist da, nur viele Einzelhändler können den Bedarf nicht decken, weil die Hersteller wichtiger Komponenten Lieferengpässe haben.

Schon jetzt könne man diese Spuren im Radhaus sehen. Reischl deutet auf die Mountainbikes, die zum Verkauf nebeneinander aufgereiht sind. "Normalerweise würden diese näher beieinander stehen", sagt er. Aber der Kunde soll die Leerstände nicht sofort sehen, deshalb wurden die Zwischenräume vergrößert. Reischl geht ins Lager. Und da wird die Misere erst richtig deutlich. "Normalerweise wären unsere Lager nun um diese Jahreszeit komplett gefüllt", sagt Reischl. Aber teilweise sind momentan ganze Reihen leer. "Natürlich haben wir noch einige Tausend Räder zum Verkauf, aber es wären deutlich mehr", sagt er. Reischl hofft nun, dass die bereits vor Monaten bestellte Ware bis März eintrifft. Dann wäre auch sein Lager wieder gut gefüllt.

"Es könnte sich in diesem Jahr ähnlich verhalten wie bei den Automobilherstellern", sagen Bernd Brandl und Sebastian Meier, die bei Fahrrad Brenner arbeiten. Was die beiden Verkaufsprofis damit meinen? "Bei den Automobilherstellern muss man die Fahrzeuge auch vorbestellen und dann einige Zeit darauf warten. " Das droht also auch beim Fahrradkauf in diesem Jahr. Der Grund: Die großen Hersteller wie beispielsweise Shimano haben Lieferengpässe und können zentrale Komponenten nicht so schnell produzieren, wie sie nachgefragt werden. "Wir haben viele Komponenten, Räder und Teile geordert, aber bekommen dann immer wieder die Terminverschiebungen der Hersteller zu spüren", erklären Brandl und Meier. "Ein Beispiel: Wir haben im Juli 2020 Räder bestellt und wir haben die Zusage bekommen, dass diese im Oktober 2021 geliefert werden. So brutal ist die Lage", ergänzt Inhaber Otmar Brenner.

Fritz Reischl vom Ingolstädter Radhaus erläutert dies anhand eines praktischen, aber fiktiven Beispiels: "Wenn bei Audi die Nachfrage in der Regel bei rund 1,5 Millionen Fahrzeugen liegt und man sagt jetzt zum Konzern: ,Ihr müsst im kommenden Jahr nun aufgrund der erhöhten Nachfrage statt einer Million Fahrzeuge dann 2,5 Millionen produzieren', heißt es dort mit Sicherheit auch: ,Das ist in so kurzer Zeit nicht möglich. '" Genauso würde es sich bei den großen Herstellern verhalten. Auch die könnten die hohe Nachfrage so schnell nicht decken.

Was bleibt also dem Kunden? "Rechtzeitig bestellen. Am besten jetzt schon", empfiehlt Thomas Sebald vom gleichnamigen Ski- und Radladen in Stammham. "Eine Online-Bestellung sowie eine telefonische Beratung sind möglich. Ansonsten muss man nach dem Ende des Lockdowns mit einer langen Wartezeit rechnen. " Sebald hofft, dass aber bis dahin trotzdem die bestellte Ware geliefert wird. "Wenn ich diese verkauft habe, bin ich zufrieden", sagt er. Vor allem deshalb, weil für ihn das Skigeschäft in diesem Jahr bislang völlig ausgefallen ist. "Das war tot, weil ja keiner Ski gefahren ist. "

Aber wie so oft gibt es auch Ausnahmen. Martin Willner vom Fahrradzentrum Willner sagt: "Wir könnten sofort mit dem Verkauf loslegen. " Die Ausstellungsräume und das Lager seien bei ihm bestens gefüllt. Wie er das geschafft hat? "Mit ein entscheidender Grund bei uns ist, dass wir langjährige Vertriebspartnerschaften und zuverlässige Lieferanten haben", sagt Willner. "Dazu haben wir bereits im Juni, Juli 2020 die Waren bestellt, so dass diese rechtzeitig bei uns eingetroffen sind. " Die anderen hoffen noch, dass bis spätestens zum Ende des Lockdowns die heiß ersehnte und lang bestellte Ware geliefert wird.

Die Fahrradbranche ist systemrelevant. Das heißt: In Bayern dürfen die Fahrrad-Werkstätten weiterarbeiten und haben geöffnet. Ersatzteillieferung, Pannenhilfe und Wartung sind also erlaubt. Warum? "Das Radfahren ist gesund und bietet eine Alternative zu anderen Fortbewegungsmitteln", sagt Willner. "Deshalb muss eine Werkstatt gewährleistet sein. " Ein Verkauf von Fahrrädern ist aber nur online oder per Telefon möglich. Manche Einzelhändler haben deshalb teilweise Kurzarbeit angemeldet. Andere nutzen diese momentane Lockdown-Phase um aufgeschobene Tätigkeiten zu erledigen. Willner beispielsweise nimmt interne Umbauarbeiten vor, renoviert und optimiert die Prozesse.

Das Radhaus mit Geschäftsführer Fritz Reischl schult die Mitarbeiter - natürlich unter Einhaltung der Hygiene- und Distanzvorschriften-, nimmt Optimierungs- sowie Reparaturmaßnahmen vor und eine innerbetriebliche Inventur.

Eine Produktberatung erfolgt bei vielen Händlern sowohl online per Videoberatung oder telefonisch. "Allerdings fehlt die Haptik, die Probefahrt, das Berühren und Anfassen. Das ist durch nichts zu ersetzen", sagt Willner. Deshalb rechnet er wieder mit einem Ansturm nach Ende des aktuellen Lockdowns. "Allerdings bleibt die große Unbekannte, wie sich die Spielregeln durch Corona ändern", so Willner. Das heißt: Ab wann die Fahrradhändler ihre Türen für den regulären Verkauf wieder öffnen dürfen. Trotzdem würde sich die aktuelle Situation von vor einem knappen Jahr deutlich unterscheiden. "Die für uns entscheidende Zeit beginnt ab März, mit Ostern als erstem wichtigen Saisonabschnitt", weiß Willner. "Erst danach durften wir im vergangenen Jahr wieder öffnen. Deshalb hat sich dann alles auf die Zeit vor Pfingsten konzentriert. Und so kamen quasi der erste und der zweite wichtige Saisonabschnitt zusammen. " In diesem Jahr hoffen die Händler, dass sie gleich schon zum Saisonstart ab März öffnen dürfen und sich so der Ansturm möglicherweise etwas verteilt.

DK


Timo Schoch