München
Exzentrik hautnah

Die Hypo-Kunsthalle in München feiert den Modeschöpfer Jean Paul Gaultier mit einer fulminanten Schau

21.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:46 Uhr

Foto: DK

München (DK) Auch Nana ist dabei. Ein wenig zerrupft und abgeschabt. Ein liebenswertes Kerlchen mit treuen Knopfaugen. Spielzeug und Puppenersatz. Muse und erstes Model. Der Teddybär, der dem Jungen aus dem Pariser Vorort ein willkommenes Versuchstierchen war, eröffnet die opulente Schau über einen der berühmtesten Modeschöpfer unserer Zeit. Jean Paul Gaultier hat dem Stofftier einst Kügelchen aus Papier auf Brusthöhe appliziert, Vorläufer der späteren Korsagenkleider und kegelförmigen Büstenhalter, die Gaultier – nicht nur weil Madonna sich Anfang der 90er Jahre darin auf der Bühne rekelte – berühmt machten.

„From the Sidewalk to the Catwalk“, vom Bürgersteig bis zum Laufsteg, heißt die Ausstellung, die nach New York, Montreal oder Paris nun in der Hypo-Kunsthalle in München Station macht. Es ist eine fulminante Hommage an einen Provokateur und Exzentriker, an das langjährige Enfant terrible der Modeszene. Spektakulär inszeniert mit unheimlich wispernden, flüsternden und zwinkernden Puppen, lebensnahe, videoanimierte Gestalten, taucht der Besucher in den Kosmos des Meisters des Tabubruchs ein. Zu erleben sind Bräute und Punks, Celebrities und Rocker, Matrosen und Amazonen, Meerjungfrauen und Dominas. Der Besucher verfolgt das Konzentrat der Kollektionen, die Vielzahl an Filmkostümen – für Pedro Almodóvar, Peter Greenaway oder Luc Besson –, und die zahlreichen Fotografien.

Die enorme Schau, 14 Tonnen Material, ist ein Defilee als Verbeugung vor den kühnen und sensationellen Kreationen, die grenzgängerisch von den Laufstegen – über Bühnenstars wie Madonna, Kylie Minogue oder Beyoncé – in die Gesellschaft hineingewirkt und Seh- und Modegewohnheiten verändert haben. Pop Couture statt Haute Couture. Damals ein Affront, ebenso wie der legendäre Männerrock aus den 80er Jahren. Wie harmlos kommt da Gaultiers Markenzeichen daher, das weiße Langarm-T-Shirt mit schmalen blauen Querstreifen im Marine-Stil.

Irritieren lässt sich der französische Superstar selten, der Erfolg gibt ihm recht. Und die Konsequenz der Entwürfe: der Mix aus Trash und Travestie, Erotik und Fetischismus, Eleganz und Glamour, teils auch jenseits von Schönheitsnormen und Gender-Stereotypen. Er schickt ältere und übergewichtige Models, Transvestiten und Dragqueens auf den Laufsteg. Treu seinem Satz folgend: „Ich würde den Leuten gerne sagen: Macht die Augen auf – und ihr findet auch dort Schönheit, wo ihr sie nicht erwartet hättet.“

Für diese Vision und Mission greift Gaultier zu aberwitzigen Materialien, die in der Aufzählung einem außergewöhnlich gut sortierten Gemischtwarenladen ähneln: Federn, Tierhaut, Metalldosen, Seide, Weizen, Stroh, Nieten, Kristalle, Metallblättchen und Leder. Die Tragbarkeit spielt bei dem Meister der Verwandlung vielfach eine untergeordnete Rolle. Seine Kreationen sind Statements und in Szene gesetzte Lebensentwürfe, die von der Freude am Anderssein, von der Toleranz und von der Vision einer offenen Gesellschaft erzählen.

Gaultier selbst ist bei aller Exzentrik ein umgänglicher Mensch. Unmittelbar und unprätentiös in Interviews, plauderhaft bei den Vernissagen. Und so erzählt er selbstverständlich und ironisch über seinen Imagewechsel. „Ich kann heute nicht mehr sagen, dass ich das Enfant terrible der Haute Couture bin, weil ich weißes Haar habe. Früher war es gebleicht, inzwischen ist es echt. “

Jean Paul Gaultier, Hypo-Kunsthalle München, bis 14. Februar, täglich von 10 bis 20 Uhr. Weitere Infos unter www.kunsthalle-muc.de.