Ingolstadt
Expressive Schönheit

Gambist Jordi Savall verzaubert mit seinen Ensembles im Münster

27.07.2018 | Stand 23.09.2023, 4:14 Uhr

Ingolstadt (DK) Für imposante Gotteshäuser wie das Liebfrauenmünster ist die sakrale Musik des spanischen Renaissance-Komponisten Tomás Luis de Victoria gemacht.

Umgeben vom kühlen Gemäuer der gotischen Hallenkirche entfalten sich die langanhaltenden, ineinander verflochtenen Melodiebögen am idealsten. Auch wenn der Gesamtklang natürlich Gefahr läuft, sich in den hinteren Weiten des Kirchenschiffs ein wenig zu verlieren.

Diese akustischen Gegebenheiten schmälern jedoch das hohe künstlerische Niveau des diesjährigen Gastspiels der Salzburger Festspiele bei den Audi- Sommerkonzerten in keinster Weise. Von de Victorias insgesamt 37 Nummern des monumentalen Passionszyklus "Officium Hebdomadae Sanctae", entstanden 1585 in Rom, hat der ausgewiesene Spezialist für Alte Musik Jordi Savall für seine beiden Vokal- und Instrumentalformationen mehrere dramaturgisch zueinander passende Auszüge aus den lateinisch textierten Karfreitags- und Karsamstagsgesängen ausgewählt.

Vom Altarraum aus erhebt sich so ein wundervolles, schwebend-transparentes Klanggewebe: Doppelchörig angelegte Lektionen und Responsorien, die mit religiöser Inbrunst von der Leidensgeschichte Jesu erzählen, sie ausschmückend kommentieren und erweitern.

Feinsinnig akzentuiert begleitet werden die insgesamt 13 Sängerinnen und Sänger der Capella Reial aus Katalonien von der Gruppe Hespèrion XXI, einer Streicherbesetzung aus fünf verschiedenen Gambenregistern und einem Dulzian, einer Vorform des heutigen Fagotts. Durch unterschiedliche Stimmkonstellationen und Positionenwechsel des Vokalensembles entsteht eine vielschichtige, an- und abschwellende, zart bis glühend leuchtende Intimität und Intensivität der Stücke, eine meditativ-kontemplative Klangsynthese, die an jedem Phrasen-ende die Resonanz des Raums optimal auslotet. Streng konstruierte, konzentrierte Kontrapunktik, die ausdrucksstark, wortgetreu und nah am Text auskomponiert ist, aber doch zugleich kastilianisches Kolorit transportiert.

Damit erweist sich ihr Komponist Victoria als wohl einer der größten spanischen Vertreter der klassischen Vokalpolyphonie. Es ist unüberhörbar, dass der bald 77-jährige Weltstar Jordi Savall und seine Mitstreiter jahrzehntelange, leidenschaftliche Erfahrung innerhalb dieser Musik mitbringen. Perfekte Balance zwischen expressiver Schönheit und spiritueller Tiefe. Davon zeugen auch die eingestreuten Gregorianischen Passionsrezitationen in Form von leicht improvisatorisch angehauchter Deklamation.

Savall dirigiert mit sparsamen, reduzierten Bewegungen, die mit den Sängern und Instrumentalisten atmen - und umgekehrt. Am Ende, das Publikum ist bereits in völlige Dunkelheit getaucht, gibt er schließlich im Ensemble sitzend von seiner Diskantgambe aus mit seinem Bogen den Takt an. Alles fließt - auf das letzte "Amen" zu, das einem in seiner ergreifend-mystischen Innigkeit regelrecht den Atem raubt.

Heike Haberl