München
Explosive Enteignung

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof entscheidet nächste Woche über Privatklage gegen die Stadt Ingolstadt

24.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:53 Uhr
Die ICE-Trasse in Sichtweite: Zwischen Etting und Oberhaunstadt liefen 2010 noch die Bauarbeiten für die umstrittene Ethylen-Pipeline. −Foto: Herbert/Archiv

München/Etting (DK) Durch die Pipeline auf ihrem Grund und Boden strömt seit sechs Jahren das Gas Ethylen und versorgt Chemiebetriebe mit einem wichtigen Grundstoff.

Doch für die Ettingerin Margarete Donaubauer heißt das noch lange nicht, dass sie sich mit dieser Tatsache abfinden würde. Er könne "keine Anhaltspunkte für eine Einigung" erkennen, sagte am Donnerstag Richter Wolfgang Peitek, Vorsitzender des 22. Senats am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH). In der kommenden Woche will der VGH seine Entscheidung verkünden.

Das Berufungsverfahren ist der bisherige Schlusspunkt eines mittlerweile über zehnjährigen Rechtsstreits, der sich am Bau der Ethylen-Pipeline und den damit verbundenen Enteignungen im Norden Ingolstadts entzündet hat. Margarete Donaubauer - sie trat anders als ihr Mann Josef stets öffentlich auf - setzte von Anfang an alle Hebel in Bewegung, um sich gegen eine mögliche Enteignung für dieses von ihr rundheraus abgelehnte Projekt zur Wehr zu setzen. Schon 2010 warnte sie vor einer "tickenden Zeitbombe" und einem "Flammenmeer" bei einem möglichen Pipeline-Unfall. 2011 scheiterte sie in erster Instanz mit ihrer Klage am Verwaltungsgericht München, 2012 ließ der VGH eine Berufung zu. Seitdem warteten die Beteiligten auf eine Entscheidung in Karlsruhe, inwieweit die maßgeschneiderten Landesgesetze zur Enteignung verfassungskonform seien. Diese inzwischen geklärte Frage sei, wie Richter Peitek bei der jetzigen Verhandlung in München bestätigte, durchaus "nicht ganz so trivial" gewesen.

Rechtsanwältin Antje Plößl begründete die Klage der Donaubauers gegen die Stadt Ingolstadt (Enteignungsbehörde): Eine Alternativtrasse sei nicht geprüft worden, auch habe die Behörde im Enteignungsbeschluss vom Dezember 2010 "sonstige Wertminderungen" des Grundstücks durch die "relativ gefährliche" Gasleitung nicht ausreichend berücksichtigt. Denn schließlich sei die Fläche "nicht allzu weit vom Audi-Werk entfernt", deutete die Anwältin eine vielleicht "mal anders als landwirtschaftliche" Nutzung an.

Stadtjurist Johann Rauscher als Vertreter der Enteignungsbehörde und Anwalt Stefan Dietlmeier untermauerten die Position der Beklagten. Die Behörde sei "selbstverständlich vom Planfeststellungsbeschluss argumentativ" ausgegangen (Dietlmeier). Nach den Worten Rauschers seien in Ingolstadt etwa drei Dutzend Eigentümer vom Pipelinebau betroffen gewesen. "Kleinräumig" habe man durchaus mit Erfolg versucht, zugunsten der Eigentümer die Trasse jeweils zu verschieben, ebenso bei der Klägerin aus Etting. Doch Frau Donaubauer habe, so Rauscher, alles "partout in Bausch und Bogen abgelehnt, sie lehnt jegliche Verschiebung ab".

Mehrfach kam in der Verhandlung die Spekulation über eine künftige - beziehungsweise verhinderte - Bodenwertsteigerung durch Audi-Nähe zur Sprache. Im Gegensatz zur Klägerin sah Anwalt Dietlmeier keine Gründe, die "eine Höherwertigkeit des Grund und Bodens angezeigt" hätten. Die im Enteignungsbeschluss angesetzte "landwirtschaftliche Nutzung" habe deshalb eine "sachgerechte" Entschädigung ergeben.

Rechtsanwalt Christian Straßberger vertrat als Beigeladene die Firma EPS Ethylen-Pipeline Süd. Er kommentierte angesichts der aktuellen Audi-Probleme alle Gedanken über ein mögliches Kaufinteresse der weiter expandierenden Autobauer leicht süffisant: "Momentan wohl nicht. "

Vorsitzender Peitek vergewisserte sich, ob im Enteignungsverfahren auch geprüft worden sei, die Pipeline auf öffentlichen Flächen zu verlegen. "Dann hätte man schon großräumig umplanen müssen", erwiderte Rauscher. In der näheren Umgebung jedenfalls fehlten ausreichend große Wege und Straßen, bei denen der erforderliche sechs Meter breite Schutzstreifen der Ethylen-Leitung einzuhalten wäre, ohne dass man wiederum "andere Eigentümer belastet" hätte.

ETHYLEN-PIPELINE  

Die Ethylen-Pipeline Süd verbindet das rheinland-pfälzische Ludwigshafen mit Münchsmünster. Sie stellt auch den Anschluss an eine schon länger bestehende Pipeline bis Burghausen her. Der Gastransport in dieser 370  Kilometer langen  Rohrleitung  ist nach einigen Jahren Verspätung 2013 in Betrieb gegangen. Weil Bayern und Baden-Württemberg das Projekt für sehr bedeutend im Interesse der chemischen Industrie einschätzen, aber auch der gesamten wirtschaftlichen Infrastruktur, wurde der Bau sowohl finanziell mit Steuermitteln unterstützt als auch  durch eigene Gesetze   flankiert,  im Freistaat ist es das  sogenannte Rohrleitungs-Enteignungsgesetz.  Im Raum Ingolstadt  verläuft die Trasse der Pipeline   zwischen Lenting und Oberhaunstadt, zwischen Etting und dem Audi-Werksgelände, dann weiter südlich von Gaimersheim in Richtung Neuburg.  Ethylen ist einer der wichtigsten Grundstoffe für die Betriebe der Chemie- und Petrochemie-Branche. Es wird zur Produktion von Kunststoffen wie Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylen (PE) verwendet.