Ingolstadt
Explodierender Haydn

Geigerin Tianwa Yang und die Georgier im Ingolstädter Festsaal

21.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:02 Uhr

Schwungvoller Mozart: Tianwa Yang im Festsaal - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Chefdirigent Lavard Skou Larsen nimmt die Reaktionen des Publikums vorweg: „Ist er jetzt total deppert“, fragt er sich selbst vor Beginn des letzten Stücks, Haydns „Trauersinfonie“, beim Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters. Sonst käme ein Dirigent doch mit dem Taktstock auf die Bühne und nicht mit einer Geige, um eine Sinfonie zu leiten.

In der Tat: Was der neue Georgier-Chef plante, hat vielleicht so noch niemand vor ihm versucht. Es ist natürlich nicht unüblich, dass Werke des 18. Jahrhunderts vom Cembalo oder vom Konzertmeisterpult aus dirigiert werden. Ungewöhnlich allerdings ist es, wenn der Dirigent am Pult steht, das musikalische Geschehen lenkt und gleichzeitig Geige spielt. Das sieht ein bisschen so aus, als wollte Skou Larsen als Stehgeiger Walzer von Strauß spielen oder aber ein klassisches Violinkonzert geben.

Und es klingt auch fast so. Denn allein die Tatsache, dass Skou Larsen ständig die Partie der ersten Geige mitspielt, verstärkt optisch und akustisch deren Präsenz. So wirkt die eigentlich sehr polyfone „Trauersinfonie“ in dieser Interpretation unweigerlich ein wenig kopflastig, eindimensional.

Aber dieser kleine Nachteil wird aufgewogen: durch den Elan, die Leidenschaft, die Skou Larsen noch viel stärker vermittelt, wenn er ein Instrument in der Hand hält, als wenn er mit dem Taktstock agiert. Man spürt plötzlich: Hier wird Musik wirklich gemacht – nicht nur inszeniert. Und Skou Larsen, der ein überwältigend intelligenter Probenleiter ist, verliert auf einmal die leichte Unbeholfenheit, Steifheit, die ihm als Kapellmeister gelegentlich anhaften. Besonders die beiden letzten Sätze der Sinfonie geraten so zum Höhepunkt des Konzerts. Das berühmte Adagio, das sich Haydn angeblich als Trauermusik für seine Beerdigung gewünscht hat, spielen die Georgier märchenhaft klangschön und doch klar phrasiert, fernab jeden Kitsches. Und den Schlusssatz gestaltet Skou Larsen als Tour de Force, die einem den Atem verschlägt, als eine einzige minutenlange Explosion, einen philharmonischen Sturm.

Skou Larsen ist zweifellos für die Salzburger Musik des 18. Jahrhunderts geboren. Hier hat er seinen emotionalen musikalischen Ankerpunkt. Da gelingt ihm einfach alles. So ist der zweite Höhepunkt des Abends die frühe Ouvertüre zu „La finta giardiniera“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Skou Larsen und sein Orchester entfalten eine fast schon übertrieben breite Palette der Emotionen, der Dynamik, der Charaktere: ein polternd lautstarker Beginn und ein unendlich empfindsamer langsamer Satz.

Und auch das Mozart-Violinkonzert in D-Dur geht Skou Larsen im Vorspiel so plastisch und souverän an, dass er fast der Geigerin Tianwa Yang die Show stielt. Die erst 25-jährige Chinesin ist dennoch eine Sensation. Auch wenn es ihrer Interpretation noch ein wenig an Eigenständigkeit fehlen mag: Sie beherrscht ihr Instrument technisch wie nur wenige, und ihr Mozart-Verständnis ist frisch und deftig und vor allem frei von aller Mozartkugel-Geziertheit.

Energiegeladen und kraftvoll interpretiert Tianwa Yang auch k „Fratres“ von Arvo Pärt. Ein Stück, das in seiner harmonischen Schlichtheit wie eine wohltuende kühle Erfrischung anmutet zwischen all den kunstvoll gedrechselten klassischen Kostbarkeiten.