Bremen
Ex-Meister im Sturzflug

Bremen holte vor zehn Jahren den Titel – Jetzt gastiert Werder als Tabellenletzter beim FC Bayern

16.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

Bremen (DK) Werder Bremen blickt in der Fußball-Bundesliga auf eine große Vergangenheit. Der Verein wurde viermal Meister, sechsmal Pokalsieger und gewann 1992 den Europapokal der Pokalsieger. Doch von diesem Ruhm ist nicht viel übrig geblieben. Werder droht mittlerweile die Zweitklassigkeit.

Die Enttäuschung nach dem Unentschieden im Bundesliga-Kellerduell gegen den SC Freiburg war groß. Werder Bremen ist nach dieser Partie am Tiefpunkt angekommen – kein Sieg nach sieben Saisonpartien, vier Punkte, Tabellenplatz 18. Die Zweite Liga ist trotz der frühen Saisonphase so nah wie selten.

Die Gründe für den Absturz sind vielschichtig. Der Ursprung liegt bereits Jahre zurück. In der Zeit der großen Erfolge wurden gravierende Fehler gemacht. Die Ära von Manager Klaus Allofs und Trainer Thomas Schaaf war von zahlreichen Triumphen geprägt. Während Allofs Spieler wie Fabian Ernst, Claudio Pizarro, Mladen Krstajic, Valérien Ismael, Naldo, Miroslav Klose, Per Mertesacker, Diego, Mesut Özil und allen voran Johan Micoud für vergleichsweise wenig Geld holte und dafür als „beste Spürnase der Liga“ gefeiert wurde, fand Schaaf ein System, in dem sich diese Spieler wohl fühlten. Zudem spielte Werder spektakulär offensiv und über Jahre erfolgreich. Waren die Zeiten unter Otto Rehhagel noch von der kontrollierten Offensive geprägt, so feierte Werder Bremen unter Schaaf Woche für Woche wahre Fußballfeste mit dem Höhepunkt 2004, als der Verein das Double holte und den FC Bayern München deutlich beherrschte.

Dieser Erfolg ist zehn Jahre her, es wirkt aber so, als ob es bereits 50 Jahre wären. Fünfmal in Folge war Werder in der Champions League dabei. Klaus Allofs verstand es, prominente Abgänge immer gut zu ersetzen. So kam Diego 2006 von der Bank des FC Porto und ersetzte Micoud. Als der Brasilianer 2009 nach herausragenden Leistungen für mehr als 25 Millionen Euro zu Juventus Turin wechselte, stand sein langsam aufgebauter Nachfolger Mesut Özil bereits parat.

Doch im Verlauf der Jahre ließen sich Allofs und Schaaf offensichtlich von den Erfolgen in der Champions League blenden. Die großen Schnäppchen-Transfers wurden weniger, Werder klotzte und investierte die eingenommenen Millionen teilweise in sündhaft teure Flops wie Carlos Alberto (2007/7,8 Millionen), Marko Marin (2009/8,2), Wesley (2010/7,5), Marko Arnautovic (2010/rund 7) und Mehmet Ekici (2011/5). Marin brachte bei seinem Wechsel zu Chelsea zumindest eine stattliche Summe (rund sieben Millionen), ansonsten wurde viel Geld verbrannt. Zudem konnte der sportliche Substanzverlust durch die jährlichen, prominenten Abgänge nicht mehr kompensiert werden. Schon in der Saison 2008/2009 war deutlich zu sehen, dass das von Schaaf bevorzugte Offensivspektakel hakte. Am Ende stand in der Bundesliga nur Tabellenplatz zehn. Die Verantwortlichen trösteten sich aber immerhin mit dem Pokalsieg (dem bisher letzten Titel von Werder) und dem Finale im Uefa-Pokal (1:2 gegen Schachtar Donezk). Auch wenn sich Werder in der Folgesaison noch mal für die Champions League qualifizierte, dort dann aber trostlos ausschied, wurde immer deutlicher, dass der Verein die besten Zeiten hinter sich hatte. Die Idee, bei drei Gegentreffern fünf Tore zu schießen, funktionierte nicht mehr. So blieb der Erfolg aus, die hoch dotierten Verträge für Spieler aus den Champions-League-Jahren waren aber natürlich noch gültig.

Werder schaffte es nicht, sich aus diesem Negativkreislauf zu befreien. Jahr für Jahr verpasste der ehemalige Bayern-Konkurrent das internationale Geschäft und fing finanzielle Verluste immer schwerer durch den Verkauf von Leistungsträgern auf. Allofs hatte zudem seine Spürnase verloren, er verabschiedete sich ohne große Gegenwehr des Vereins nach 13 Jahren im November 2012. Im Mai 2013 folgte Thomas Schaaf, nachdem Werder fast abgestiegen wäre. Die Vereinsverantwortlichen hatten offensichtlich zu lange am Duo festgehalten.

Werder verspielte in den mageren Jahren ab 2010 sämtliche finanziellen und sportlichen Vorteile im Vergleich zur mittlerweile weitaus kreativeren Konkurrenz und musste Vereine wie den FSV Mainz 05, FC Augsburg und Hannover 96 vorbeiziehen lassen. Ein Riesenproblem waren auch die teuren Umbauphasen im Weserstadion. Eine geplante Kapazitätserhöhung wurde wegen zu hoher Kosten verworfen, ein Neubau abgelehnt. Dadurch verbaute sich Werder Chancen auf weitere Einnahmen, die die Konkurrenzfähigkeit erhöht hätten.

Schaafs Nachfolger Robin Dutt hat mit der neuen Ausgangslage – wenig investieren und viel erreichen – zu kämpfen. Mit Thomas Eichin, dem Nachfolger von Klaus Allofs, ist zwar ein Geschäftsführer an seiner Seite, der die alten Schnäppchen-Tugenden wieder aufleben lässt. Alleine die Fußballwelt hat sich verändert. Der FC Bayern ist auf Lichtjahre enteilt – Werder hat nicht mehr die Mittel und auch nicht den Willen, groß einzukaufen. Im Aufsichtsrat wachte zuletzt mit Willi Lemke ein Verfechter der konservativen Strategie, nicht mehr Geld ausgeben zu wollen, als man einnimmt. Die Zweifel an diesem Kurs sind in den vergangenen Wochen aber immer größer geworden – im Verein wird sogar über eine Verschuldung diskutiert.

Momentan werden neue Geldquellen gesucht, der Vermarktervertrag wurde verlängert und bringt frisches Geld (rund neun Millionen Euro). „Wir werden mit der Situation verantwortungsbewusst umgehen und auf dem Transfermarkt nur dann agieren, wenn wir auch die absolute Notwendigkeit sehen und mit voller Überzeugung handeln können“, stellte Eichin zwar klar.

Langsam tut sich bei Werder aber etwas. Lemke hat auf die Zweifel im Umfeld reagiert, Marco Bode übernimmt demnächst seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender. „Ich rücke ins zweite Glied, Marco wird mein Nachfolger“, sagte Lemke. Mit Bode ist ein Richtungswechsel mit mehr Mut zum Risiko zu erwarten.

Trainer Robin Dutt muss sich dagegen die Frage gefallen lassen, ob er nicht aus den gegebenen Möglichkeiten zu wenig gemacht hat. „Wir kennen die Mechanismen der Fußball-Bundesliga“, sagte Eichin mit Blick auf die Situation von Dutt. Zuvor betonte er, dass der Coach die hundertprozentige Unterstützung habe. Dies gilt aber wohl nur, wenn endlich Siege geholt werden. Jetzt tritt Werder morgen (15.30 Uhr) beim FC Bayern München, dem ehemaligen Konkurrenten um die Meisterschaft, an. Mit einem Werder-Sieg rechnet niemand. Der Unterschied zwischen beiden Vereinen könnte momentan nicht größer sein.