Pfaffenhofen
Europapolitik statt Weiberfasching

Politisches Fachsimpeln mit Günther Schmid lockt viele Interessierte ins Hotel Alea

03.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:08 Uhr
Fachmann im Gespräch: Günther Schmid referierte über die Europapolitik. −Foto: Schmid

Pfaffenhofen (PK) Über Cyberabwehr und den technologischen Wettbewerb hat der frühere Professor für internationale Politik, Günther Schmid, vor zahlreichen Gästen bei einer Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung am Unsinnigen Donnerstag im Pfaffenhofener Hotel Alea referiert. "Nur wer sich in den Wettbewerb einreiht, gewinnt", meinte er. Europa müss daher gemeinsame Interessen definieren und seine Politik besser erklären.

"Ich hätte nie im Leben mit so vielen Interessenten gerechnet. Und schon gar nicht mit so hohem weiblichen Anteil", freute sich Heinz Enghuber, der Regionalbeauftragte der Hanns-Seidel-Stiftung. Enghuber betonte die hohe Bedeutung der Europawahl, bei der von den 64,4 Millionen Deutschen auch fünf Millionen Erstwähler zugelassen sind - und forderte auf: "Reden Sie mit den Leuten, damit sie wählen!" Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte - das seien wichtige Punkte einer funktionierenden Weltordnung, leitete er zu Schmid über.

Dem früheren Professor war es wichtig zu betonen, dass er privat da sei und nicht in seiner ehemaligen Funktion im Kanzleramt. Allein deshalb, weil er seinen Vortrag mit Erzählungen von der Sicherheitskonferenz begann. Dabei stellte er der Kanzlerin erst einmal ein dickes Lob für ihre Rede aus. "Vermutlich ihre beste überhaupt", meinte er und fügte an, dass sich die Welt als Gut und Böse dargestellt habe. "Wie die Welten aufeinander geprallt sind, war hoch interessant." Die Rückkehr der Großmächte bringe die alte Bipolarität zurück: allerdings nicht zwischen Russland und den USA, sondern zwischen den USA und China. "Wir erleben einen Zerfall der globalen Architektur", betonte Schmid und wies daraufhin, dass "wir eine europäische Autonomie bräuchten", die jedoch Utopie sei. In zehn Jahren werde die Nato entweder als Gerippe oder als multinationales Gebilde dastehen. Dabei kam er nicht umhin, auf den amerikanischen Präsidenten Donald Trump einzugehen. Mit dem Austritt aus internationalen Verträgen verabschiede sich die USA von der globalen Führungsrolle, sodass diese als Ordnungsfaktor in der Welt ausfalle. Über Trump gebe es nicht zu wenig, sondern zu viel Informationen. Sein Weltbild sei das einer wirtschaftlichen Kampfarena. Mit seiner "Disruptive Politics" reiße er alles, was Obama aufgebaut habe, wieder ein. Dabei stellte Schmid die Frage, ob dies nur ein Ausnahmefall sei oder vielleicht ein Symptom des Wandels. Fest stehe, dass Trump mit Allianzen nichts anfangen könne.

Die USA, Russland und China würden die Spielregeln testen - und wollen sie verändern, ergänzte er. Wie im Kalten Krieg würden diese Drei in Einflusszonen zurückkehren, zurück zur Bipolarität. Dabei teste China seine Machtansprüche. Zwischen den USA und China entwickle sich ein technikversierter Machtkampf. So sei China jetzt schon weltweit führend bei der Gesichtskontrolle. In dieser strategischen Auseinandersetzung habe auch in Deutschland der Abschied vom amerikanischen Zeitalter begonnen. Die USA zeigt sich nationalistisch, doch die Rolle als Ordnungsmacht wolle niemand übernehmen. Die USA blieben zwar die größte Wirtschaftsmacht bis 2050, mutmaßte Schmid. Aber eine globale Ordnung werde es nicht mehr geben. Die Frage, was an deren Stelle gesetzt werde, sei schwierig, da die bipolaren Strukturen momentan zu einem Epochenbruch, einer Erosion der Nachkriegsordnung also zu einem "Interregnum" führe. Dieser Wettbewerb der Supermächte sei auch ein geopolitischer Kampf, meinte Schmid. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es künftig keine Ad-Hoc-Koalitionen mehr gebe, sondern nur noch sogenannte "Frienemies", also Freunde und Feinde gleichzeitig, da jeder mit jedem je nach Interessenslage auf unterschiedlichen Gebieten Partnerschaften schließe.

Was Deutschland fehle sei eine offene Analyse der Sicherheit, meinte er. Verteidigungspolitisch sei Deutschland von den USA abhängig. In Europa seien Frankreich und Deutschland jedoch der führende Zug. Und hier müssten sich diese beiden Länder weitere dazuholen. In der Außenpolitik stehe Deutschland vor der Wende. Die europäischen Staaten, sind spätestens seit der neuen "National Defense Strategy" gezwungen, sich Gedanken über neue Bedrohungsszenarien zu machen. Man müsse die großen digitalen Firmen besteuern. "Wir müssen präventiv denken. Wir werden sogar gezwungen sein schneller zu denken", diagnostizierte Schmid und stellte anheim, dass es notwendig sei eine neue Sprache zu erfinden.

"Da wir momentan noch keine neue Ordnung haben und uns in diesem Zwischenstadium befinden, sollten wir es mit Herrmann Hesse halten: "Jede Krise ist auch eine Chance", schloss der Professor seinen Vortrag.

Bei der anschließenden Diskussion empfahl er, dass die Europäischen Staaten eine gemeinsame Schnittmenge finden und ihre Interessen definieren müssten, damit sie nicht zum Spielball der drei Mächte würden. Auf die Frage, ob es Sinn mache, wenn sich die EU mit Eurasien zusammenschließe, meinte Schmid, dass es sich wohl dahin bewege. "Doch nicht so lange Putin an der Macht ist. Denn momentan fühlt sich Russland mental noch stärker von China bedroht." Und China wisse das. Dabei ging er auf Chinas strategisch defensive Außenpolitik ein. Auf die Frage, wie man den Wählern ein starkes Europa beibringen könne, meinte Schmid, dass man die Politik erklären müsse. "Nur 1,8 Prozent der Deutschen sind Parteimitglieder. Das liegt zum Teil auch am Schulsystem. Es wird einfach viel zu wenig Wirtschaft und noch weniger Sozialkunde unterrichtet."

Birgit Schmid