Eichstätt
"Europapokal der Fernsehanstalten"

Vor 50 Jahren hat die Stadt Eichstätt bei der Sendung "Spiel ohne Grenzen" gegen das belgische Jambes gewonnen

19.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:17 Uhr

Foto: DK

Eichstätt (DK) Vor 50 Jahren war Eichstätt Gewinner bei "Spiel ohne Grenzen" - dem Fernsehklassiker der 1960er und 1970er Jahre schlechthin. Bei den spektakulären Aufgaben waren Geschick, Sportlichkeit und Wissen gefragt. Angeblich saßen rund 70 Millionen Menschen vor den Bildschirmen.

Für die Jüngeren ist es allenfalls ein weit entferntes Relikt aus der verstaubten Fernsehmottenkiste - die Älteren dagegen bekommen immer noch glänzende Augen, wenn sie daran denken: Vor 50 Jahren ging die Bischofsstadt Eichstätt als Gewinner bei "Spiel ohne Grenzen" hervor. Für die damalige Zeit ein Riesenereignis.

Denn "Spiel ohne Grenzen" war nicht irgendeine TV-Show, es war vielmehr "das" Fernsehereignis in den 1960er- und 1970er-Jahren und neben dem "Grand Prix Eurovision de la Chanson" (heute "Eurovision Song Contest") die einzige Sendung, die europaweit ausgestrahlt wurde. Entsprechend viele Menschen fieberten vor den Bildschirmen mit. Beim Finale Eichstätt gegen Jambes (Belgien) am 14. September 1966 sollen es rund 70 Millionen Zuschauer gewesen sein.

"Das war ein Straßenfeger, wie man so schön sagt", erinnert sich Josef Art lächelnd, dem die turbulenten Monate vor 50 Jahren noch bestens im Gedächtnis sind. Der heute 74-Jährige war Teil der Mannschaft, die den "Europapokal der Fernsehanstalten" vollkommen überraschend nach Eichstätt holte und der kleinen Stadt an der Altmühl damit einen ungeahnten Popularitätsschub bescherte.

"Spiel ohne Grenzen" - das war eine Art Kindergeburtstag für die Großen, ein Geschicklichkeitsturnier im XXL-Format, Eierlauf und Sackhüpfen auf höherem Niveau. Fast immer eine tragende Rolle spielten Wasser und Schmierseife: Die Zuschauer sollten schließlich was zu lachen haben, wenn sich die Kandidaten im wahrsten Sinne des Wortes nass machten. Aber auch Wissen war gefragt - und dies sollte Eichstätt später den Sieg im Finale gegen Jambes bringen.

Die Geschichte begann am 25. Februar 1966: Damals wurde beim Westdeutschen Rundfunk in Köln ausbaldowert, wer für das Städteturnier infrage käme. "Spiel ohne Grenzen" war im Jahr zuvor erfolgreich gestartet - 1966 gab es also die zweite Auflage. Damals beteiligten sich neben Deutschland Frankreich, Italien, Belgien und die Schweiz am Eurovisionswettkampf (weitere Länder sollten im Laufe der folgenden Jahre hinzukommen). Jedes Land durfte fünf Kleinstädte unter 40 000 Einwohnern ins Rennen schicken. Unter zahlreichen Bewerbern wurde auch Eichstätt ausgewählt. Weil, wie dem Buch "Spiel ohne Grenzen" unseres früheren Redakteurs Rudolf Leuchtmann zu entnehmen ist, die damalige Unterhaltungschefin beim WDR, Marita Theile, nach vorheriger "Inspektion" recht angetan war vom Städtchen an der Altmühl: "Eichstätt ist einer der schönsten Orte, die in diesem Jahr zur Auswahl stehen." Allerdings konnte beim Besuch der Fernsehleute auf Anhieb keine geeignete Wettkampfstätte ausfindig gemacht werden. Im letzten Augenblick kam Oberbürgermeister Hans Hutter die entscheidende Idee für die "Spiel ohne Grenzen"-Arena: der Klosterhof in Rebdorf. Am 1. April 1966 ging der erlösende Anruf im Eichstätter Rathaus ein: "Wollen Sie mitspielen, Herr Dr. Hutter" Er wollte.

In den folgenden Monaten hieß es: "Europa blickt auf die Bischofsstadt." Der Hype - so würde man heute sagen -, der damals losbrach, "den kann man sich nicht vorstellen", blickt Josef Art zurück. Erster Gegner war Alassio, italienisches Seebad an der Westriviera. Ideal für "Spiel ohne Grenzen" - viel Wasser. Und so wurden die Wettkämpfe am 6. Juli dort im Hafenbecken ausgetragen - entsprechend "feuchtfröhlich" sollten die Spiele für die "Landratten aus dem Jura" werden.

Die Truppe, die in die Bresche springen sollte, war relativ schnell zusammengestellt: "Wir waren zwar eine der kleinsten Städte, aber mit der Bepo, der Hochschule und den Gymnasien hatten wir schon Vorteile", berichtet Josef Art, der später im Halbfinale einstieg. Allein bei den Kandidaten für die Quizfragen hakte es. OB Hutter fing sich mehrere Absagen ein, weil sich niemand vor Millionenpublikum blamieren wollte. Letztlich fassten sich die Lehrer Josef Morczinek (Willibald-Gymnasium) und Helmut Hawlata (Gabrieli-Gymnasium) ein Herz: "Wir wagen es." Und in Gedichtform ließen sie eine kleine Spitze gegen die mutlosen Mitbürger los: "Es weiß ein jedes Kind der Stadt und mancher Weitgereiste, daß es allhier nicht Mangel hat an Leuten groß von Geiste. Doch als es galt, zum Heil der Stadt von deren Geist zu künden, da war auf einmal, in der Tat, kein Geist mehr aufzufinden."

Alassio war für die etwa 40-köpfige Mannschaft also die erste Hürde auf dem Weg zum Titelgewinn. Immer mittwochs um 21 Uhr begannen die 90-minütige Live-Übertragungen von "Spiel ohne Grenzen" mit der Eurovisionshymne. Die Kämpfe wurden parallel ausgefochten - in diesem Fall also im Hafenbecken an der Riviera und im Klosterhof in Rebdorf. Moderator hier war der überaus populäre Camillo Felgen. Nach diversen Spielen - verknotetes Rollschuhfahren über ein Wasserbassin oder der wilden Jagd nach Luftballons in einem riesigen Käfig - hatten die Eichstätter zwölf Pluspunkte auf dem Konto, die Italiener vier Minuspunkte.

Das Halbfinale war erreicht, der nächste Gegner kam wieder aus Italien: die toskanische Stadt Montecatini. Und hier schlug die große Stunde des "Nesthäkchens" der Truppe. In der Zeitung war dann von der "kleinen Heldentat des jungen Jägle" zu lesen. Der damals 17-jährige Wolfgang Jägle hatte gerade erst den Führerschein in der Tasche, als er in Montecatini zum Autorennen antreten sollte. Mit Autos war er schließlich in der heimischen Werkstatt groß geworden. Allerdings schickten die Italiener einen Profifahrer auf das mit Hindernissen gespickte Rund. Was die Autos - zwei Fiat Topolino Cabriolet - betraf, war Jägle extrem misstrauisch. So ließ er sein Gefährt extra bewachen, "damit die da nicht rummanipulieren konnten". Wie auch immer: Der "verwegene Bursche" ließ seinem Kontrahenten nach einem Blitzstart keine Chance. "Den habe ich das ganze Rennen nicht mehr gesehen." Jägle fuhr den Sieg ein, und der Gegner "war fix und fertig". Auch wegen einer anderen Sache blieb Montecatini Jägle in guter Erinnerung: "Dort habe ich die erste Pizza meines Lebens gegessen. So etwas gab es ja damals nicht bei uns." 12:10 hieß es am Schluss für Eichstätt, und damit war der Weg ins Finale frei.

Showdown war am 14. September 1966 in Rebdorf und im belgischen Jambes. Knapp 2000 Zuschauer wollten das Spektakel im Klosterhof miterleben, rund 20 000 waren es im Stadion der belgischen Stadt - "ein Hexenkessel". Im Vorfeld soll es dort allerdings nicht immer ganz fair zugegangen sein: So wurde den Eichstättern der Zugang zum Stadion fürs Training teilweise verwehrt, während sich die Gegner munter aufs Finale vorbereiteten. Nicht zuletzt deswegen galt Jambes als Favorit, und die Akteure gaben sich siegessicher: "Die hatten die 40 000 Mark Prämie schon verplant", blickt Josef Art zurück. Der damals 24-jährige Polizist war "Sportler durch und durch", und damit war er prädestiniert, als "Dünnerchen" seinen Teil zum Sieg der Eichstätter zu leisten: Auf einem riesigen Trampolin musste er - in einer Röhre steckend - mit "Dickerchen", seinem Kollegen Volker Walchshäusl, Luftballons möglichst unbeschadet ins Ziel bringen.

Die Spannung war kaum zu überbieten: Vor der alles entscheidenden Quizfrage stand es 5:4 für Jambes. Helmut Hawlata und Josef Morczinek konnten schließlich fünf Dichter ihren Jahrhunderten richtig zuordnen. "Hawe" (83) verschmitzt: "Für einen gelernten Historiker war das ja nicht allzu schwer." Endergebnis: 7:5. Und dann war die Hölle los im Klosterhof: "Freudentränen schießen in die Augen. Ihre Kehlen können die Freudenrufe gar nicht so laut herausbringen, wie es ihre vollen Herzen gern möchten", so steht's im Leuchtmann-Buch.

Neben dem "Europapokal der Fernsehanstalten" gab es auch 40 000 Mark. Nach einigem Hin und Her wurde entschieden, die Siegprämie als Grundstock für den späteren Neubau des Eichstätter Freibads zu verwenden.