Abensberg (rat) Ein Jahrzehnte währendes Nischendasein hat der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Hacker der SPD für den Fall des Auseinanderbrechens der großen Koalition prophezeit. "Die SPD wird jahrelang zuschauen müssen", sagte der Berliner Parlamentarier am Freitagabend beim Spargelessen der FDP im Kreis Kelheim im Abensberger Ortsteil Sandharlanden. "Die Volksparteien haben sich überholt", betonte Hacker. Er verwies auf das Beispiel Großbritannien, wo die Konservativen trotz des Mehrheitswahlrechts, das die dortigen großen Parteien bevorzugt, immer weiter schrumpfen würden.
Sollte die große Koalition in Berlin im Herbst geschieden werden, dann wären Neuwahlen unausweichlich. Hacker schloss ein baldiges Ende der schwarz-roten Regierung nicht aus. Bekanntlich wolle die SPD im Herbst eine Bilanz der Arbeit der großen Koalition ziehen. Dass CDU/CSU, Grüne und die Liberalen, wie bereits nach der Bundestagswahl geplant, ohne Urnengang eine Jamaika-Koalition vereinbaren würden, verneinte der medienpolitische Sprecher seiner Fraktion. Wahrscheinlich sei, dass CDU/CSU und Grüne nach den Neuwahlen eine Regierung bilden würden, wenn die Mehrheitsverhältnisse das zulassen sollten. Falls es für eine schwarz-grüne Koalition nicht reichen würde, dann wäre die FDP unter der Voraussetzung eines "klaren Politikwandels" bereit, in die Regierung einzutreten. "Denn Union und Grüne haben sich seit der Bundestagswahl neu aufgestellt", erklärte Hacker.
Er rechtfertigte erneut die Aufkündigung der Gespräche über eine Jamaika-Koalition durch den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. "Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte für uns wesentliche Punkte aussitzen", beklagte der 51-Jährige. Es seien leider im Laufe der langen Verhandlungen immer mehr Konfliktbereiche entstanden.
In seiner Eigenschaft als Mitglied im Bundestagsausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union ging der gebürtige Bayreuther auch auf den geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU ein. Leider habe die britische Premierministerin Theresa May (Konservative) ihr Land in eine "Sackgasse manövriert". Die durch den angekündigten Brexit entstandenen Probleme würden beweisen, wie eng miteinander verflochten die europäischen Staaten inzwischen sind. "Vielleicht wird die Europawahl, an der die Briten ja nun teilnehmen, ein zweites Referendum mit einer Mehrheit für den Verbleib in der EU", hoffte Hacker. Für Großbritannien wäre die weitere Mitgliedschaft in der Europäischen Union das Beste. Den der FDP nahestehenden britischen Liberaldemokraten prophezeite der Berliner Abgeordnete ein gutes Ergebnis. Das hätte sich zuletzt bei der Kommunalwahl in Großbritannien bereits abgezeichnet, wo die Liberaldemokraten 700 Mandate hinzugewonnen hätten.
Die Hängepartie um den Brexit zeige bereits negative Folgen für die Wirtschaft. "Für die Firmen ist die Unsicherheit ein großes Problem." Bedeutende Unternehmen hätten sich aus Großbritannien zurückgezogen, künftige Investoren würden abgeschreckt, weil die Rahmenbedingungen unklar seien. "Der Schaden durch den Brexit ist immens", stellte der frühere Landtagsabgeordnete fest. Das Drama, das sich in den vergangenen Monaten in Großbritannien abgespielt habe, hätte nicht aufgeführt werden dürfen. Hacker beklagte das mangelhafte Verantwortungsbewusstsein der handelnden Politiker in London. "Aber wir Europäer dürfen Großbritannien nicht aktiv über die Klippe schieben", sagte er. Die Entscheidung über Verbleib oder Austritt müsse den Briten selbst überlassen bleiben. Allerdings würden sich die politischen Verhältnisse in London bereits nach der Europawahl verändern, lautete Hackers Prognose.
Die langwierige Diskussion über den Brexit habe aber auch ihre guten Seiten. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl werde steigen, glaubte Hacker. Auf dem westlichen Balkan gebe es mehrere Länder, die der EU beitreten wollten. Diesen gelte es, eine Perspektive zu eröffnen. "Diese Staaten haben erkannt, dass die Wirtschaftskraft der EU ein entscheidender Faktor ist." Nur deshalb sei es zum Beispiel gelungen, dass Mazedonien einen 20 Jahre währenden Namenskonflikt mit Griechenland beigelegt habe.
Einen raschen EU-Beitritt der aus dem früheren Jugoslawien hervorgegangenen Staaten schloss Hacker aber aus. Allerdings sollte man mit den Verhandlungen beginnen. In zehn bis 15 Jahren könnten sich diese Länder dann entscheiden, ob sie der Europäischen Union beitreten wollten oder nicht. Die Integration der Westbalkan-Staaten werde auch Europa nutzen. "Denn Russland nimmt immer mehr Einfluss auf Serbien", berichtete Hacker. Zudem expandiere China mit seinem Projekt der Neuen Seidenstraße. Diese habe inzwischen den Balkan erreicht und die Regierung in Peking versuche, dort politischen Einfluss zu erlangen.
Hacker bezeichnete die Europawahl als "entscheidend für die Zukunft des Kontinents". Man dürfe das Friedensprojekt Europa nicht den Rechtspopulisten und Nationalisten überlassen. Maria Raum, die Vorsitzende der FDP im Kreis Kelheim, dankte dem Bundestagsabgeordneten für die zahlreichen Informationen zum Thema Europa. Auch sie erkannte Vorteile, die aus der Debatte über den Brexit erwachsen würden. "Wir sehen derzeit eine Repolitisierung der Diskussionen." Und es würden immer mehr Bürger pro-europäisch denken, sagte die Juristin Maria Raum, die auch Vorsitzende der niederbayerischen FDP ist. Danach ließen sich die FDP-Politiker und Anhänger der Liberalen auf dem Spargelhof in Sandharlanden das Edelgemüse munden.
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