"Es weht ein anderer Wind"

02.11.2008 | Stand 03.12.2020, 5:28 Uhr

Abschied: Marlies Bernreuther verabschiedet mit ihrem Sohn Marc einen Jungen, wie sie sagt. Doch er werde als Mann zurückkommen.

Pyras (HK) "Es ist eine gute Schule", sagt Marlies Bernreuther – und meint das durchaus im doppelten Sinn. Denn ihr Sohn Marc genießt im nächsten halben Jahren einen – fast – regulären Unterricht. Doch sein Segeltörn über den halben Erdball dürfte auch eine beeindruckende Schule für das Leben sein.

Harlingen in den Niederlanden, Teneriffa, Martinique, Panama, Kuba, Bahamas, Azoren – lernen, wo andere Urlaub machen: Der 15-jährige Marc Bernreuther, jüngster Spross der Brauereifamilie aus Pyras ist einer von 28 Schülern aus ganz Bayern, die in den nächsten sechs Monaten ihre Klassenzimmer mit dem Dreimaster "Regina Maris" tauschen, um über den Atlantik quer durch die Karibik und wieder zurück nach Hamburg zu schippern. "Klassenzimmer unter Segeln" (KUS) heißt das Projekt unter Federführung der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg.

"Es war uns beiden sofort klar, dass das genial ist", sagt Marcs Mutter Marlies Bernreuther. Wohl einmalige Erlebnisse – "Marc interessiert das Abenteuer" – eingebunden in ein pädagogisches Konzept: Das Schiff ist quasi die Welt auf 48 mal 6,90 Meter konzentriert – mit allen Konflikten, die es in der sozialen Gemeinschaft geben kann, aber auch mit dem Teil Verantwortung, den ein junger Mensch in der Welt der Erwachsenen übernehmen kann.

Das nächste halbe Jahr werde ihren Sohn verändern, ist Marlies Bernreuther überzeugt: "Er fährt als Junge weg und kommt als Mann zurück." Für sie sei es schon hart, diese einschneidende Entwicklung nicht miterleben zu können, "beim Abschied war ich deshalb schon traurig".

Im richtigen Leben besucht Marc Bernreuther ein Internat in Schondorf am Ammersee. Er ist es seit der dritten Klasse gewohnt, seine Mutter nicht jeden Abend am Bett sitzen zu haben. Dafür genießen die beiden verlängerte Wochenenden und Brückentage, die möglich sind, da im Internat auch samstags Unterricht gehalten wird.

Doch ein halbes Jahr Trennung ist eine andere Dimension. "Marc hat einen Vorteil durch das Internat", glaubt seine Mutter. Zum Beispiel seien Handys auf dem Segeltörn nicht erlaubt, "da lässt sich Heimweh besser verarbeiten". Kontakt zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern gibt es nur sporadisch bei Landaufenthalten zum Beispiel auf Martinique oder auf Kuba – "wahrscheinlich per E-Mail im Internetcafé". Für jeden Ersten des Monats hat Marc einen Brief oder eine Karte seiner Mutter im Gepäck.

Karte zum Geburtstag

Zusätzlich eine Karte für seinen 16. Geburtstag, den er in dieser Woche feiert, und Weihnachten. Heilig Abend und die Weihnachtstage verbringt der Filius auf den kleinen Antillen, am weißen Sandstrand unter Palmen. Aber ohne Päckchen unterm Christbaum, immerhin kostet die Reise fast 2400 Euro – im Monat. "Weihnachten auf Martinique – da brauche ich kein Geschenk mehr einpacken", sagt Marlies Bernreuther und lacht.

Bei allem Spaß und aller Abwechslung – der Trip bedeutet auch Arbeit für Marc. Bislang kann er nicht segeln, doch nach drei Wochen auf See sollen die Jugendlichen unter dem Kapitän Martin Duba das Schiff übernehmen. Zudem gilt es, möglichst schnell spanisch zu lernen, um sich bei den jeweils mehrtägigen Landaufenthalten, bei denen die Crew bei Gastfamilien wohnt, auch verständigen zu können.

"Man entkommt auf dem Schiff nicht", sagt Marlies Bernreuther. Disziplin könne ihr Sohn dort lernen, "er ist schon ein Hans-guck-in-die-Luft". Allerdings mit guten Noten, denn das spielte bei der Auswahl der Jugendlichen, die den Törn mitmachen dürfen, auch eine Rolle. Eher zufällig kam Marc nämlich auf die "Regina Maris": In der jetzigen zehnten Klasse habe sowieso ein Auslandsaufenthalt angestanden, erzählt seine Mutter. Auf England fiel die Wahl – "aber das fanden wir beide nicht so attraktiv". Der Schulleiter des Internats kannte die Projektleiterin Ruth Merk von der Erlanger Uni – und erzählte der Elternbeiratsvorsitzenden Marlies Bernreuther davon. Schon war der erste Kontakt geknüpft, schriftlich um einen der begehrten Plätze bewerben musste sich Marc allerdings selbst. Mit Erfolg.

"Er hat sich riesig gefreut", erzählt Mutter Marlies. Den Regenwald vor Ort zu untersuchen, sich das Ökosystem beim Tauchgang in kristallklarem Wasser anzusehen ist ja auch etwas anderes als gewöhnlicher Unterricht. "Sie haben Unterricht in den Hauptfächern und verstärkt natürlich in Biologie und Erdkunde", schildert sie. Ab und an bekomme der Filius Nachrichten von seinem Lehrer in Schondorf, um Besonderheiten des Lehrplans zu Hause nacharbeiten zu können.

Wenn Marc Ende April zurückkommt, besucht er weiter die zehnte Klasse und wird versetzt – auf Probe. "Bis Weihnachten muss er den ganzen Stoff nachgeholt haben", weiß Mutter Marlies. "Das ist ganz schön tough."