Eichstätt
"Es war eine wild-bewegte Zeit damals"

Zum 35. Gründungstag der Grünen: Ein Gespräch mit dem ehemaligen Eichstätter Bundestagsabgeordneten Albert Schmidt

13.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:46 Uhr

Albert Schmidt (63, oben) war das erste grüne Kreistagsmitglied und der erste Eichstätter Bundestagsabgeordnete der Grünen. Er hat auch die Anfangsjahre der Partei in den 1980er Jahren – hier eine Versammlung im Eichstätter Holbeinsaal – miterlebt (Archivfoto unten, 3. von rechts) - Fotos: privat/je

Eichstätt (HK) Vor 35 Jahren, am 13. Januar 1980, gründete sich in Karlsruhe die Partei Die Grünen, die drei Jahre später in den Bundestag eingezogen ist.

1983 schaffte es auch der erste Grüne in den Eichstätter Kreistag: Albert Schmidt (63) aus Hofstetten, der dann von 1994 bis 2005 als Abgeordneter dem Bundestag angehört hat.

 

Herr Schmidt, Sie haben die aktive Politik vor zehn Jahren hinter sich gelassen. Was machen Sie jetzt in Berlin?

Albert Schmidt: Ich bin Politikberater und Coach. Gemeinsam mit meiner Partnerin Michaele Hustedt berate ich vor allem neu gewählte Abgeordnete der Grünen, aber auch Stadträte, Landtagsabgeordnete und Vertreter von Umweltverbänden. Auch Führungskräfte aus der Wirtschaft kommen zu uns, soweit sie mit dem ökologisch sozialen Umbau zu tun haben.

 

Sie sind selbst in den 1980er Jahren jung und unerfahren in die Politik gegangen. Hätte Ihnen da Politikberatung gut getan?

Schmidt: Das hätte nichts geschadet. Ratschläge von erfahrenen Kräften nützen immer. Allerdings sind auch eigene Erfahrungen wichtig.

 

Wie erinnern Sie sich an die 1980er Jahre, die Gründerzeit der Grünen?

Schmidt: Es war eine ganz wild-bewegte Zeit damals, ein Experiment. Die Grünen als Partei, das war ja etwas völlig Neues. Da konnte niemand zuverlässig vorhersagen, wie das am besten geht, was überhaupt geht, und was nicht. Und wir haben sicherlich Fehler gemacht und daraus gelernt.

 

Was hat Sie bewogen, sich dieser damals jungen Partei anzuschließen?

Schmidt: Als ich in der katholischen Jugendarbeit und später als Gemeindeassistent an der Katholischen Studentengemeinde in Eichstätt aktiv war, hat mich immer das „Schicksal der Welt“ bewegt, also die Fragen: Wie gerecht geht es auf dieser Welt zu, und wie rücksichtsvoll gehen wir mit dem Planeten Erde um? Und da waren die Grünen für mich genau die richtige Bewegung und Partei. Mir war die Vielfalt wichtig. Ich hätte mich nie in einer kaderförmigen Partei wohlgefühlt. Ich fand gerade das spannend, dass sich vom Biobauern bis zur Feministin alle möglichen Leute zusammengefunden haben. Und es war ja, wie man sieht, letztendlich doch auch recht erfolgreich.

 

Der Erfolg war in den 1980er Jahren aber noch nicht absehbar, oder? Welche Erinnerungen haben Sie an ihre erste Zeit 1983 als einziger Grüner im Eichstätter Kreistag?

Schmidt: Die erste Zeit war wirklich überraschend und auch enttäuschend.

 

Warum?

Schmidt: Weil ich mich als einziger Grüner gewundert habe, dass sich alle 59 anderen im Kreistag auf das ohnehin schon unter dem Gewicht ächzende Mehrheitssofa der CSU gesetzt haben und nicht den Ehrgeiz hatten, zur Politik des Landratsamtes und des Landrats Alternativen zu entwickeln. Das habe ich dann versucht, zum Beispiel mit einem Müllkonzept, in dem es nicht nur um Müllverbrennung, sondern verstärkt um Recycling ging, oder mit dem Thema Trinkwasserschutz.

 

Mit welcher Resonanz?

Schmidt: Ich habe schon gemerkt, dass man auch alleine Themen setzen und die Verwaltung zum Handeln ranlassen kann. Später waren wir dann drei Grüne im Kreistag, da haben wir mehr Anerkennung gefunden. Insgesamt habe ich also eine sehr gute Erinnerung an die Kreistagsarbeit. Die Anfangsschwierigkeiten waren schnell überwunden. Die Atmosphäre selbst wurde mit den Jahren lockerer.

 

Sie sagen, dass Sie Themen gesetzt haben. Mülltrennen zum Beispiel war damals wirklich ein sehr exotisches Thema, inzwischen ist es Mainstream. Ist das ein Verdienst der Grünen?

Schmidt: Ich denke schon, dass es ein Verdienst der Grünen ist – sowohl in den Kommunen als auch in den Ländern und im Bund – dass Vieles heute selbstverständlich geworden ist. Bestimmte Standards in der Umweltpolitik sind heute gesetzt und können nicht mehr unterlaufen werden – bundesweit.

 

Wenn nun damals „exotische“ Themen der Grünen heute selbstverständlich sind, haben sich die Grünen dann damit überflüssig gemacht?

Schmidt: Den Eindruck habe ich nicht. Trotz der Initiativen, die global betrieben werden, tritt zum Beispiel der Klimaschutz auf der Stelle. Wir sind weit davon entfernt, ein verbindliches Reglement zur Absenkung des CO2-Gehalts in der Luft zu haben. Daran sieht man auch, dass eine grüne Beteiligung an der Bundesregierung wichtig war und heute wichtig wäre.

 

Sie hatten auch selbst Gelegenheit, als Abgeordneter Bundespolitik zu machen, von 1998 bis 2005 während der rot-grünen Koalition sogar als Mitglied und verkehrspolitischer Sprecher einer Regierungspartei.

Schmidt: Richtig, ich habe den steinigen Acker der Verkehrspolitik beackert. Das ist sicherlich nicht das dankbarste Aktionsfeld, denn Verkehr und Transport sind nun einmal per definitionem mit Umweltbelastungen und Rohstoffverbrauch verbunden. Außerdem sind gerade die Grünen und ihre Anhängerinnen und Anhänger ein reiselustiges Völkchen. Es ist ja nicht so, dass die Verkehrsvermeidung in unseren Kreisen besonders hoch angesehen wäre. Sondern man reist gerne, man ist weltläufig und weltoffen. Das ist ein Zielkonflikt, ist es auch damals schon gewesen.

 

Wie sind Sie dem begegnet?

Schmidt: Es war Aufgabe in der Verkehrspolitik, Mobilität wirklich als Freiheitsbegriff zu sehen und zu setzen. Ich denke, dass es gelungen ist, das Auto nicht nur als „rollendes Atomkraftwerk“ zu verteufeln, sondern stärker darum zu kämpfen und dafür zu werben, dass das Auto umweltfreundlicher wird, weniger Sprit verbraucht, weniger CO2 emittiert, mit den Rohstoffen sorgsamer umgeht, die Recyclingquote höher wird und so weiter. Da ist manches möglich gewesen. Aber ich gebe gerne zu, dass ich mir da mehr Erfolge gewünscht hätte. Deswegen habe ich vom ,steinigen Acker’ gesprochen, denn die Widerstände sind groß.

 

Hat es dabei eine Rolle gespielt, dass Sie aus einer Region kommen, die wirtschaftlich stark von der Autoindustrie – Stichwort Audi – geprägt ist?

Schmidt: Audi spielte da weniger hinein. Vor allem hat es für mich eine Rolle gespielt, dass ich auf dem Land gelebt habe, in Hofstetten. Da konnte man nur mobil sein, wenn man ein Auto hatte. Es hat kaum öffentliche Verkehrsangebote und ganz wenig Buslinien gegeben. Da konnte es nicht egal sein, ob ein Auto zwölf Liter auf 100 Kilometer verbraucht oder nur sechs. Denn das ist ein Riesenunterschied für die Umwelt.

 

Zweiter Schwerpunkt ihrer Verkehrspolitik war die Bahnpolitik. Sie gehörten von 1999 bis 2003 auch dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG an.

Schmidt: Es war mein größter Erfolg, dass es mir und anderen als Gemeinschaftsleistung gelungen ist, diesen unsinnigen Börsengang der Deutschen Bahn letztlich doch noch zu verhindern. Ich hatte das ja im Aufsichtsrat drei Jahre versucht. Dort ist es mir nicht gelungen. Deshalb habe ich den Aufsichtsrat verlassen, um offensiv gegen diese Privatisierung agieren zu können.

 

35 Jahre nach der Gründung haben sich die Grünen in der Parteienlandschaft etabliert. Gefällt Ihnen die Entwicklung, die die Partei genommen hat?

Schmidt: Ja sicher. Am Anfang hatte das starken Bewegungscharakter, es gab auch richtige Irrtümer. Zum Beispiel dieses Rotationsprinzip. Das war gut gemeint, aber nicht effizient. Heute sind wir in vielen Kommunen engagiert, wir sind in neun von 16 Landesregierungen. Das zeigt: Man kann als Grüner eine ganze Menge bewegen. Da bin ich sehr zufrieden. Und dass wir heute realistischer und auch professioneller sind als früher, sehe ich nicht als Schaden, sondern als einen Lernprozess, der positiv war und hoffentlich weiter sein wird.

 

Das Gespräch führte Eva Chloupek