Es pocht. Es schmerzt. Es schweigt.

25.01.2007 | Stand 03.12.2020, 7:07 Uhr

Ingolstadt (DK) Dunkelheit. Ein Kinderbett. Zerwühlte Kissen. Ein schlafender Junge. Um ihn herum: Schemen, Hirngespinste, Trugbilder, Traumgesichter. Sie drängen heran. Neugierig. Hinterhältig. Mächtig. "In der Nacht, in unsere Betten verkrochen, warten unsere Träume", sagt einer der Schatten (Nikola Norgauer). Und beschreibt in der nächsten Frage Jean-Paul Denizons Inszenierung skonzept : "Ist es Traum oder Wirklichkeit?"

Denizons Vorlage für sein Kinderstück "Das kalte Herz" (ab zehn Jahren) ist Wilhelm Hauffs (1802–1827) romantisch es Märchen, das von dem Köhlerjungen Peter erzählt, der einen Bund mit dem Bösen eingeht, um Vermögen und Prestige zu erlangen. Er verkauft sein Herz für ein paar Bündel Geldscheine – und kann fürderhin kein Mitleid mehr empfinden. Kein Glück. Keine Liebe. Er wird roh. Und kalt. So kalt wie sein neues Herz aus Stein.

Der Kampf mit sich selbst

Denizon bricht in seinem Stück (Übersetzung aus dem Französischen: Thomas Schwar- zer) die Märchenstrukturen auf und erzählt den Konflikt um Macht, Reichtum und Moral vereinfacht in moderner Sprache. Denn das treibt schließlich auch heute junge wie alte Menschen um: Der Blick auf die anderen – Finanzkraft , Talent, Wissen, eine herausragende Position, ein cooles Auftreten, schicke Freunde – führt zu Selbstzweifel, Neid, Habgier. Man will auch ein Stück zum persönlichen Glück. Die Frage ist: Was ist man dafür zu tun bereit? Und: Wann ist der Preis zu hoch? Wann begeht man Verrat an sich selbst?

Denizons Schluss (der eben nicht Hauffs Happy End aufgreift) führt das nochmal eindringlich vor Augen: Bedrängt von den beiden zauberischen Gestalten, dem Holländer-Michel und dem Glasmännchen, schreit Peter verzweifelt: "Wer seid ihr?" Und erhält als Antwort darauf ein energisches, einstimmiges: "Du selbst!" Der Kampf, den Denizon hier exemplarisch vorführt, ist ein Kampf, den jeder mit sich selbst ausfechten muss.

Denizon spielt mit der Faszination der Märchenwelt, mit dem Fantastischen , das sie birgt. Mit den Absonderlichkeiten. Dem Unvorhersehbaren. Der Kraft. Dem Unerklärlichen. Manches setzt er trickreich in der Inszenierung um. Eine delikate Szene ist beispielsweise das Aufeinandertreffen der beiden magischen Figuren im Wald, das Kräftemessen zwischen Nikola Norgauer und Karlheinz Habelt. Dann wieder richtet Denizon einen Spot auf eine starke Erzählerfigur, wie er sie in der Musikerin Michaela Dietl findet: Sie beobachtet, kommentiert, greift voraus – und ihre Musik ist dabei ein heftiges Pochen, klingt melancholisch und herzschwer , geriert sich als Mischung aus Volksweisen und Brechtschem Sprechgesang. Vieles abstrahiert der Regisseur auch (wie Ausstatterin Tanja Erdmann den Wald als Labyrinth aus schwarzen Wänden). Und ab und an finde n sich Dialogfetzen, die sowohl aus einem Sozialdrama wie aus einer TV-Soap stammen könnten.

Denizons Inszenierung setzt auf die unterschiedlichsten Ele- mente, Ebenen, Genres, spielt mit Theaterformen und ihren ironischen Brechungen und hat – trotz des ernsten Themas oder auch gerade deswegen – keine Scheu vor dem Klamauk (die ulkige Operation!). Und doch lässt all das seine Arbeit auch mäandern, macht sie unentschlossen, schwächt sie – und führt bisweilen zu Unruhe im jungen Publikum, das stets ein deutlicher (da ehrlicher) Gradmesser ist, ob eine Geschichte spannend ist und das Regiekonzept funktioniert.

In der Märchenfalle

Allerdings gelingt es Denizon, das Publikum immer wieder erneut zu fesseln – mit Poesie und Witz oder auch mal einem Rap. Dann ist es mucksmäuschenstill im Kleinen Haus und alle lauschen gespannt. Doch die Inkonsequenz der Form stellt vor allem die Schauspieler vor Probleme. Denn wie soll dieser Peter Munk denn nun aussehen? Soll Daniel Kersten eine Märchenfigur spielen? Also eher schlicht, mit großem Augenaufschlag und mit Zeigecharakter? Oder muss er eine adoleszente Entwicklungsphase in all ihren existenziellen Wirrungen theatral durchleiden? Daniel Kersten schlägt sich wacker und sucht einen Weg, der beides bedient – vom Märchen-Peter zum albtraumgeschüttelten jungen Mann, von absoluter Profitorientiertheit bis zur zögerlichen Balancefindung zwischen Emotion und Verstand. Kaja Schmidt-Tychsen und Adelheid Bräu sind in ihren Rollen der Elisabeth und Mutter recht festgelegt. Da haben es Karlheinz Habelt und Nikola Norgauer mit ihren über- natürlichen Sagengestalten schon leichter. Beide finden schöne, klare Farben für ihre Dämonen und Verführer und zeigen auch im Miteinander ein spann ungsreiches Spiel.

Denizons Botschaft ist klar: "Die Dinge sind nicht gut oder schlecht: sie sind. Es hängt alles davon ab, was man aus ihnen macht."

Die nächsten frei verkauften Vorstellungen sind am 28. Januar, am 11. Februar und am 25. März jeweils um 15 Uhr im Kleinen Haus.