Ingolstadt
"Es ist schwül – irgendwie"

21.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:14 Uhr |

Die "Anfängerin" treibt mit ihrer Übermotivation den Regisseur zur Verzweiflung. Es spielen Ingrid Cannonier und Titus Horst. - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Der Intendant – üblicherweise "unbemerkt und ungesehen" – trägt Puderperücke und Barockoutfit und kennt sie in- und auswendig: die Anfängerin, das Tourneepferd, die Diva, die Dramaturgin, den Freudianer, den freiberuflichen Schauspieler.

Alle die, die sich unter seinen Geisteraugen um jene "kühne Umdeutungen" bemühen, die er seit ein paar Jahrzehnten in seinem Hause konstatiert. Regietheater eben! Mag der Umgänger auch womöglich gar nicht wissen, dass man das so nennt; was es ist, führt er seinen Zuschauern perfekt vor Augen – mit einem Blick auf neunmal Probebühne zu Goethes "Kästchenszene" im Faust.

Eine reizende Rolle hat Regisseurin Gisela Maria Schmitz für die einleitenden Worte jeder Szene zu Lutz Hübners Theater-Komödie "Gretchen 89 ff" gefunden. Birgit Mannel-Fischer spielt den galanten Intendanten (sie tut es mit Charme und Ironie) und darf dabei die geschliffenen Texte zur Charakterisierung der gleich zu sehenden Theatertypen sprechen, die alleine eine Freude sind. Und verbal schon einmal vorgeben, was Ingrid Cannonier als Darstellerin und Titus Horst als Regisseur im Zweikampf immer anders auf die Bühne bringen.

Es schadet nicht, die "Kästchenszene" zu kennen, jenen ahnungsvollen Monolog des Gretchens, als es die von Mephisto im Zimmer deponierte Schmuckschatulle findet. Dann ist die komische Fallhöhe umso größer, wenn aus dem bebenden Text um Verführung ein bündiges "Es ist schwül – irgendwie und Mutter nicht da. Toller Mann. Ach wir Armen" geworden ist. Hier, in einer der hübschesten Inszenierungsszenen, ist die Schauspielerin (Cannonier spielt sie mit herrlich resignierter Mine und verkniffenen Lippen) dem "Streicher" anheimgefallen, jenem Regisseur, der alles überflüssig findet, zuletzt sogar die Szene selbst.

Und vorher musste sie mit dem "Freudianer" kämpfen: Er sieht das Kästchen als Müllsack in einer Duschkabine, in der sie nackt unanständige Dinge treiben soll. Aber auch die Regisseure lässt Autor Hübner nicht auf der Siegerseite: Im aussichtslosen Kampf etwa mit einer überengagierten "Anfängerin" oder einer "Diva".

Schnell geht dieser Rollenwechsel, kleidungsmäßig und psychisch. Und geradezu fantastisch gut schlüpft Gast Titus Horst in alle seine so unterschiedlichen Regisseure. Keiner verkommt ihm zur Persiflage, auf feine Mimik, natürliches Spiel, ein Ernstnehmen der Figuren hat Regisseurin Schmitz geachtet – hier erweist sich Horst als Meister. Schön zu sehen ist auch Ingrid Cannonier (grandios ihre Inszenierungsvision als Dramaturgin), lediglich die Diva gerät zu laut und schrill. Ein vergnüglicher Theaterabend also.

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