Schrobenhausen
"Es ist schön hier!"

Verwaltungsdirektor Reinhard Scholz hat heute seinen letzten Arbeitstag im Rathaus

21.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:31 Uhr

Foto: Stephan Boos

Schrobenhausen (SZ) Der 24. Mai 1988 war ein ungewöhnlich warmer Frühsommertag. Für den Münchner Juristen Reinhard Scholz war er allerdings nicht wegen des Wetters außergewöhnlich. An jenem Dienstag trat er seinen Dienst im Schrobenhausener Rathaus an. Dass er hier auch in Pension gehen würde, das wusste er damals noch nicht. Manchmal kommen die Dinge eben anders als man denkt. Heute ist sein letzter Arbeitstag.

28 Jahre sind vergangen. Eine lange Zeit. Damals bestand Deutschland noch aus zwei Staaten. Der bayerische Ministerpräsident hieß Franz Josef Strauß. Niemand hätte damals gedacht, dass sich daran so bald etwas ändern würde, weder an dem einen, noch an dem anderen. Gut ein Jahr später war es passiert.

In Schrobenhausen dagegen war Veränderung ausdrücklich gewünscht. Reinhard Scholz sollte frischen Wind in die Bude bringen, deshalb hatte der damalige Bürgermeister Josef Höllbauer zusammen mit seinem Stadtrat einen 37-jährigen musischen Intellektuellen geholt. Einen, der Schlagzeuger in Jazzbands war, ein Schulkamerad von Konstantin Wecker und Harold Faltermeyer. Einen jungen Familienvater mit zwei Kindern, verheiratet mit einer adeligen Dänin. Einen, der das Rathaus entstauben sollte.

Das Bild, das die Verwaltung in Schrobenhausen zu jener Zeit kurz vor Scholz bot, unterschied sich nicht wesentlich von den Scotland-Yard-Büros in den alten Edgar-Wallace-Filmen. Nur Klaus-Kinski-Typen, die gab es hier vielleicht nicht so. Aber das Düstere. Das Schwere. Das Bedeutungsschwangere. Josef Höllbauer hat einmal erzählt, wie seine Verwaltung versucht hat, ihn einzunorden, ihn, den erfindungsreichen Ingenieur, den Querdenker. Jeden Abend habe er rote Koffer mit Akten auf den Tisch gelegt bekommen, als Hausaufgabe. "Das arbeiten's jetzt bis morgen durch!", hatte man ihm auf den Weg gegeben. Das sollte so nicht weitergehen.

"Ich kann mich noch gut erinnern, wie mein Büro an meinem ersten Tag aussah", erinnert sich Reinhard Scholz: Der Boden war dunkelblau, der Schreibtisch maximaldunkel lackiert, so groß, so mächtig, so schwarz, wie man das eben von einer bayerischen Stadtverwaltung erwartet. Das blieb nicht so.

Vieles blieb nicht so. Auch der Schreibtisch nicht. Höllbauer und Scholz holten sich mit Edgar Burkart einen jungen, mutigen Stadtbaumeister, dann legten sie los.

"Josef Höllbauer hat unorthodox gedacht, und so ist er auch an die Themen herangegangen", erzählt Scholz. Die damals dabei waren, wissen, wie recht er damit hat. Mit Sätzen wie "Weil das immer schon so war" brauchte man einem Josef Höllbauer nicht daherkommen, er hinterfragte alles. Er traute sich was, seine junge Mannschaft gab ihm die nötige Rückendeckung.

Reinhard Scholz war da schon bald zehn Jahre im Staatsdienst. 1979 trat er ins Innenministerium ein, wechselte später zur Regierung von Niederbayern und ans Landratsamt Rottal-Inn. Ab 1983 bildete er an der Beamtenfachhochschule Anwärter des gehobenen Dienstes aus, 1985 wurde er Regierungsrat am Landratsamt Hof. Er wusste, wie der Hase läuft, er war loyal - und Höllbauer konnte die Dinge angehen, wie er es für richtig hielt.

"Schrobenhausen war damals in einer gänzlich anderen Art als heute Kulturstadt", sagt Scholz heute in der Rückschau, "mehr Stadt." Man gönnte sich mutige Architektur. Das Stadthallenfoyer entstand, der "Rote Turm" am Altstadteingang, bis heute ein Hingucker. Dann die nicht altertümelnden und doch altstadtgerechten Bürgerhäuser gegenüber vom Kino. Und das halbrunde Ärztehaus am Mühlrieder Weg. Spektakuläre Architektur im öffentlichen Bau gelang in Schrobenhausen nach dieser Zeit nur noch spärlich.

"Wir sind damals auch oft genug dafür angefeindet worden", sagt Scholz heute, da muss er grinsen. "Das war eine tolle Zeit, Schrobenhausen hat sich extrem entwickelt. Ich finde: sehr zum Guten." Wenn er heute durch die Stadt geht, dann weiß Reinhard Scholz, dass er an so manchem Projekt beteiligt war, dass er seine Finger im Spiel hatte, dass er Spuren hinterlassen hat.

Natürlich auch in den Jahren nach der Ära Höllbauer. Wobei die für Scholz eben besondere Jahre waren. Diese Aufbruchsstimmung. Die Städtepartnerschaften. Die Museumsgründungen. Eine großartige Phase.

Höllbauers zweite Amtszeit war nicht mehr ganz so erfolgreich, er war damals gesundheitlich schon leicht angeschlagen, die Durchsetzungskraft ließ nach. Reinhard Scholz bekam einen neuen Bürgermeister, Josef Plöckl einen gänzlich anderen Typ Mensch. Jazz trifft Volksmusik. Das geht, aber es geht nicht immer leicht.

Plöckl, der Macher, er krempelte die Ärmel hoch und legte los wie ein Berserker. "Er vermittelte uns damals den Eindruck, dass er seine Verwaltung nicht braucht", so beschreibt Scholz, wie er und die Kollegen den neuen Mann erlebten.

Aber Plöckl löste den Reformstau, er arbeitete die Projekte ab, die Höllbauer begonnen, aber nicht umgesetzt hatte. Mit Klaus Englert hatte Plöckl einen starken Vizebürgermeister an seiner Seite, der auch mal regulierend eingriff, wenn Plöckl vor lauter Dynamik übers Ziel hinauszuschießen drohte. 2002 löste Inge Eberle Klaus Englert als Nummer zwei ab. Das war die Zeit, als der Druck auf Josef Plöckl zunahm. Er hätte halt schon gern - mit seiner unbändigen Energie - alles allein gemacht. Oft lag er richtig. Oft, aber nicht immer.

Es gab Gegenwind. Es gab Spannungen. Die politische Luft in Schrobenhausen wurde kühler. Mittendrin: Reinhard Scholz an maßgeblicher Position an der Spitze der Stadtverwaltung. "Es lief nicht mehr rund", sagt er.

"Aber es war nicht so, dass hier, im Rathaus, ständig miese Stimmung herrschte", betont er sogleich. "Wir haben auch mal nach einer Sitzung gemeinsam was Gutes zu uns genommen", erzählt er, "meistens einen Cognac". Oder auch zwei. "Es war nicht einfach, aber er war mein Bürgermeister. Ich war loyal zu ihm", sagt Scholz. "Ich war nicht derjenige, der ihn ans Messer geliefert hätte, auch wenn er das vielleicht geglaubt hat."

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Man wollte Josef Plöckl loswerden, das gelang schließlich auch, mit einem halbgaren Untreue-Verfahren, das schließlich in einer Amtsenthebung mündete. Das politische Schrobenhausen, es war entzweit, teils zerstritten - und vor allem konfliktmüde.

Da war es vielleicht ganz gut, dass mit Karlheinz Stephan ein leiserer Mann kam. "Ich finde, in seiner Zeit hat sich Schrobenhausen als Stadt erkennbar weiterentwickelt", resümiert Scholz heute. Es sei einiges erreicht worden, "schön leise, klammheimlich". Wenn er das sagt, "klammheimlich", muss er direkt selber lachen. "Er ist halt einer, der mit seinen Pfunden nicht sonderlich wuchert. Und ich auch nicht. Unser Marketing mag etwas . . .", da sucht der sonst so eloquente Reinhard Scholz nach Worten, "sagen wir so: Wir sind beide nicht die großen Marktschreier."

Dann kam der 27. Februar 2013. Das war der Tag, an dem Reinhard Scholz' über alles geliebte Frau Merete starb. Obwohl sie seit Jahren schwer krank war, kam das schnelle Ende dann doch völlig überraschend. Ein Schock. Der Moment, an dem es Reinhard Scholz den Boden unter den Füßen wegzog. "Ich bin den Kollegen im Rathaus bis heute dankbar dafür, wie sie mir Halt gegeben haben, in diesen Tagen und Wochen", sagt Scholz heute. Auch ein Grund, warum er wohl hier bleiben wird, als Pensionär. "Mein Sohn lebt hier mit seiner Familie - und das Grab meiner Frau ist hier."

Und: Er mag Schrobenhausen. "Es ist schön hier", sagt er, "die Schrobenhausener feiern gern, das ist gut so." Was ihn allerdings immer wieder ärgert: "Wenn ich höre, in der Stadt tut sich nichts. Dass andere Städte viel toller seien. Das ist doch Quatsch. Das stimmt überhaupt nicht." Da kann er sich tatsächlich richtig aufregen, auch noch an seinen letzten Tagen im Amt. "Jede Stadt hat ihre Qualitäten - und Schrobenhausen ist schön!"

Woher das Gerede kommt? "Vielleicht liegt es daran: Schrobenhausen ist zu klein für eine Stadt und um einiges zu groß für ein Dorf, es ist irgendwo dazwischen." Das heißt: Das Thema ist vielleicht eher die Erwartungshaltung, der Anspruch. "Was mir hier auch ein bisschen abgeht, ist das Gemeinschaftsgefühl", sinniert Scholz, "die Leute sind immer noch Mühlrieder, Sandizeller, Steingriffer, aber nicht Schrobenhausener. Ich hatte gehofft, dass sich das ändert." Gern hätte er in seiner Zeit andere Ortsschilder montieren lassen: "Schrobenhausen - mit dem Ortsteil als Untertitel." Dieser gefühlten Einheit sind die Menschen der Stadt in seinen 28 Jahren noch nicht nahe genug gekommen, als dass das möglich geworden wäre.

Diese letzten Jahre der Ära Scholz, sie waren keine lauten, aber in lauten Zeiten. "Wobei es nicht so ist, dass es nicht auch Ärger gab", sagt Scholz. "Dass ich mich auch mal ganz gern an der Front streite, das wird bekannt sein." Tatsächlich - er kann schon aufgehen wie ein Zäpfchen, wenn man ihm quer kommt, er steht dazu. "Wie man in den Wald hineinruft . . .", sagt er dazu - und lacht. Reinhard Scholz, am Ende seiner beruflichen Laufbahn ein gelassener Mann, wenn auch zurzeit mit einem merkwürdigen Bauchgefühl. "Ich habe meine Arbeit gern gemacht. Es ist schon komisch, jetzt draußen zu sein."

Trotzdem freut er sich drauf, künftig mit anderen Augen durch die Stadt zu gehen, in der er so viel erlebt hat. Gutes, und nicht so Gutes. So ist das halt im Leben. Er hat den Wandel einer Stadt 28 Jahre lang miterlebt - und mitgestaltet. "Schrobenhausen hat sich massiv verändert", nickt er, wenn er an diese ersten Tage zurückdenkt, mit dem schweren, schwarzen Schreibtisch auf dem düsteren, blauen Boden. "Eine Stadt ist schon wie ein Organismus."

Zurzeit, sagt er, empfinde er Schrobenhausen als "ein bisserl arg hektisch. Die Menschen sind sehr angestrengt, sie waren schon mal gelassener." So ist das wohl, mit der Zeit, und dem Wandel. Der ist bekanntlich beständig. Im Leben des Pensionärs Reinhard Scholz wird das nicht anders sein.