Schwaig
"Es ist nicht leicht, vor allem als Frau"

Syrerin Samar Al Bitar und ihren Söhnen ist die Flucht gelungen, in Schwaig sind sie untergebracht

23.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:39 Uhr

Angekommen im sicheren Deutschland: Johana Resk (17, links) hat in der Unterkunft in der Turnhalle Schwaig schon einige Freunde gefunden. Mutter Samar Al Bitar möchte sich lieber nicht fotografieren lassen. „Das ist besser so“, findet sie - Foto: Lamprecht

Schwaig (PK) Versonnen blickt Samar Al Bitar in ihre Tasse. Langsam rührt sie den schwarzen, süßen Tee darin um. Trinkt einen Schluck und seufzt. „Es ist nicht leicht“, sagt sie, „vor allem als Frau.“ Beklagen will sich die 43-jährige Syrerin, die seit kurzem in der Turnhalle Schwaig untergebracht ist, aber nicht. Schließlich seien sie, ihre beiden Söhne und ihr Bruder wohlbehalten in Deutschland angekommen. Ihr Mann und die Eltern, so erzählt sie etwas später, seien noch in Syrien und hätten dort mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn des Krieges zu kämpfen.

Gerne sei sie nicht gegangen, erzählt Al Bitar in gemächlichem arabisch. Immer wieder legt sie eine Pause ein. Rührt in ihrem Tee. Denkt darüber nach, was in den vergangenen Tagen und Wochen passiert ist. Ganz greifbar ist all das, so hat man den Eindruck, noch nicht für sie.

Zehn Tage, so erzählt sie, habe die Flucht gedauert – eher kurz, weil es für sie unterwegs keine Pausen gab. Zuerst in die Türkei, dann mit dem Schlauchboot nach Griechenland. Den Rest der Strecke hätten sie zu Fuß und mit dem Auto zurückgelegt. Und ja, auch in Ungarn seien sie dabei gewesen, nickt sie eifrig und fügt mit einem kleinen Lächeln hinzu, „Wir hatten Glück, sie haben uns nicht erwischt.“ Dass es sonst schwierig geworden wäre, wissen auch ihre Söhne, die ihrer Mutter gegenüber am Tisch sitzen. Immer wieder nicken sie, während sie erzählt, werfen hier und da einen Kommentar oder eine Meinung ein und blicken immer wieder einmal auf ihr Handy – dem treuen Begleiter und einzigen Kontakt in die Heimat und damit auch zu Freunden und Familie, die zurückgeblieben sind.

Etwas später zeigt Johana Resk, Samar Al Bitars 17-jähriger Sohn, das Foto eines ergrauten Mannes. „Papa“, sagt er und zeigt darauf. Auch ihm ist es nicht leicht gefallen, Freunde und Familie zurückzulassen. Letztlich aber ging es nicht anders, die Gefahr sei zu groß geworden, die Situation zu schwierig. Denn auch in Damaskus, das lange Zeit als relativ sicher galt, spitzt sich die Situation allmählich zu. Die Kämpfe rücken näher, die Versorgung auch mit dem Nötigsten wird immer schlechter. Zwar konnten viele Syrer, die wie Al Bitars Söhne noch in der Ausbildung seien, den Militärdienst bisher verschieben. Inzwischen aber ist das immer schwieriger. Ob es überhaupt noch lange möglich ist, scheint mehr als fraglich.

So entschloss sich die Familie letztlich, ihr Haus zu verkaufen, um genug Geld für die Flucht aufzutreiben. „Anders wäre es nicht gegangen“, sagt die Syrerin und spielt mit einer Strähne ihrer dunklen Haare, die ganz oben am Scheitel langsam ergrauen.

Jetzt, in Deutschland hoffe sie auf eine bessere, eine sichere Zukunft ohne Krieg. Für den Anfang wollen sie und ihre Söhne deshalb deutsch lernen und sobald wie möglich arbeiten. Umso dankbarer sind sie den Ehrenamtlichen aus Schwaig, die ihnen schon die ersten deutschen Wörter beigebracht haben. Und auch sonst seien die Deutschen, so findet sie, nett zu ihnen gewesen. „Wir fühlen uns gut aufgenommen“, sagt sie, auch wenn die Unterbringung mit 70 anderen Menschen – Männer, Frauen und Kindern – natürlich nicht ganz leicht sei.

Ein Punkt, den auch die anderen Frauen in Schwaig bestätigen. Klagen möchte keine von ihnen, aber die fehlende Privatsphäre und das Zusammenleben mit so vielen fremden Menschen machen ihnen, das merkt man, doch zu schaffen. Und auch die Flucht selbst sei für Frauen physisch wie psychisch besonders schwer. Das sei auch einer der Gründe, warum in erster Linie junge Männer nach Europa kämen. Trotzdem, sie machen das Beste daraus, „immerhin sind wir hier, so unterschiedlich wir auch sind, fast wie eine große Familie“, sagt die gläubige Katholikin Al Bitar, die kein Problem damit hat, von lauter Muslimen umgeben zu sein. „Für uns macht das keinen Unterschied. In Syrien nicht und hier erst recht nicht.“

Wichtiger für sie ist, ihre Söhne bei sich zu haben und in Sicherheit zu sein. Das ist auch einer der Gründe, warum sie trotz allem zuversichtlich in die Zukunft blickt. „Ich möchte nach Stuttgart, da wohnen drei Brüder von mir“, sagt Al Bitar lächelnd und erntet sofort halb ernsten, halb gespielten Widerspruch von ihrem Sohn, der lieber zu seinen Freunden nach Berlin möchte. „Ach du spinnst doch“, meint die Mutter und lacht ihren Sohn an, der grinsend die Achseln zuckt und für sich und seine Mutter eine neue Tasse schwarzen Tee holt.