Ingolstadt
"Es ist immer noch alles machbar"

Der Sportliche Leiter Ralf Grabsch über die Chancen des Ingolstädters Patrick Haller auf ein World-Tour-Team

08.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:53 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Ingolstädter U23-Radprofi Patrick Haller (Team Heizomat rad-net.

de) hat das Potenzial für die WorldTour. Davon ist sein sportlicher Leiter Ralf Grabsch (kl. Foto) überzeugt. Und trotzdem hat der 22-Jährige noch keinen Vertrag für die kommende Saison. Woran das liegt, was die Hürden sind und welche Stärken der Ingolstädter mitbringt, verriet Grabsch in diesem Interview.

Herr Grabsch, haben Sie Patrick Haller schon vom Team verabschiedet?
Ralf Grabsch: Nach dem letzten Rennen, dem Münsterlandgiro, habe ich das Team offiziell verabschiedet und habe mich für das nun abgelaufene Jahr bedankt. Zu Patrick sagte ich, dass ich mir wünsche, dass alles so kommt, wie er es sich vorstellt und er nächstes Jahr weiter seinen Weg gehen kann.

Was würde das heißen?
Grabsch: Nun, dass er einen Platz in einem PK- (ProKontinental-Team, 2. Liga, d. Red. ) oder World-Tour-Team findet. Aber das wird kein leichtes Unterfangen und ein schweres Stück Arbeit, dies umzusetzen.

Also wird er das Team sicher verlassen?
Grabsch: Ich hoffe und gehe davon aus, dass er höherklassig fahren wird. Falls dies nicht der Fall ist, dann müssten wir uns nochmals zusammensetzen und eine Lösung finden. In der Vergangenheit war ich offen für Fahrer, die den nächsten Schritt nach der U23-Zeit nicht gehen konnten. Diese erhielten noch eine Chance für ein weiteres Jahr, um sich zu zeigen. Ich hoffe allerdings, dass Patrick im nächsten Jahr woanders fahren kann.

Was macht es so schwierig?
Grabsch: Patrick ist eine gute Saison gefahren. Bei vielen Rennen hatte er einfach nur unheimlich viel Pech. Bei der Flandern-Rundfahrt zum Beispiel, als er 500 Meter vor dem Ziel vom ersten kleinen Feld wieder eingeholt wird und so einen Sieg verpasste. Solche Kleinigkeiten geben einen großen Ausschlag. Nehmen wir beispielsweise Jonas Rutsch. Er gewann das U23-Rennen von Gent-Wevelgem und erhielt danach zig Angebote von WorldTour-Teams. So nahe liegt Glück und Pech beieinander. Wenn Patrick das Rennen bei der Flandern-Rundfahrt durchgezogen hätte, hätte er nun diese Problematik nicht. Und leider stand das sinnbildlich bei ihm für das ganze Jahr. Patrick war richtig stark im Frühjahr. Er hat die Rundfahrt Belgrade-Banjaluka (UCI 2.1) auf Gesamtrang vier und ein Nations-Cup-Rennen in Frankreich auf Platz sieben beendet. Er hat enormes Potenzial, aber man braucht ein Top-Ergebnis. Und das ist im U23-Bereich eben ein Sieg. Das ist ihm nicht gelungen. Das macht es ihm umso schwerer nun irgendwo unterzukommen. Und dann kommt leider noch eine zweite Schwierigkeit bei ihm dazu.

Welche?
Grabsch: Sein Management hat sich im August aufgelöst. Patrick ist nun auf sich alleine gestellt. In so einer entscheidenden Phase ist es für einen so jungen Fahrer natürlich schwer, damit klarzukommen. Heutzutage haben nahezu alle jungen Fahrer einen Manager, der sich um die Verträge kümmert und ein Netzwerk hat.

Was war mit seinem Management los?
Grabsch: Patrick hatte seit dem vergangenen Jahr Andreas Klöden (ehemaliger Radprofi, d. Red. ) als Manager. Ihm oblag die Hauptführung des Managements. An Klödens Seite war Danilo Hondo als Berater. Nachdem bekannt wurde, dass Hondo im Frühjahr in Erfurt behandelt wurde (Hondo hatte im Zuge der Operation Aderlass zugegeben, gedopt zu haben, d. Red. ), hat Klöden zuerst versucht weiterzumachen. Viele Sportler haben allerdings aufgrund der Vorkommnisse die Agentur verlassen. Klöden hat daraufhin gesagt, dass es keinen Sinn mehr ergibt, weiterzumachen und hat alles beendet. Persönlich finde ich das schlecht. Denn Klöden hat eine große Verantwortung, vor allem gegenüber den jungen Sportlern. Diese hat er nicht eingehalten. Klöden hätte die vorhandenen Sportler zumindest bis Jahresende behalten können. Er hat sich seiner Verantwortung entzogen. Soetwas kann man nicht machen. Bei Patrick ist es ein entscheidendes Jahr und dann muss er das noch wegstecken, dass er auf einmal keinen Rückhalt mehr hat.
Dann hat er aktuell keinen Manager?
Grabsch: Aktuell basiert alles auf Eigenregie. Aber das ist natürlich schwierig.

Und nun wird die Zeit immer knapper.
Grabsch: Es ist immer noch alles machbar. Patrick bewirbt sich. Ich habe ihm außerdem noch Empfehlungen gegeben. Und er kann ja viel vorweisen: Patrick war immer bei Weltmeisterschaften am Start und bei den Nations-Rennen unterwegs. Er hat viele Erfahrungen gesammelt und Härte gewonnen. Ich denke schon, dass er mit etwas Glück unterkommen kann. Aber zu der Zeit ist es sehr schwierig, diesen Schritt gehen zu können. Denn alle guten Fahrer haben Verträge, vieles ist schon unter Dach und Fach.

Wären Sie persönlich enttäuscht, wenn Patrick den nächsten Schritt nicht gehen könnte?
Grabsch: Ja, denn er hat großes Potenzial. Und er hat eine sehr professionelle Einstellung zum Sport. Dazu haben wir Patrick über Jahre hinweg aufgebaut. Deshalb stehe ich ja auch mit in der Verantwortung, weil ich seine Entwicklung sehe und begleitet habe. Wenn ich nun sein erstes U23-Jahr mit seinem viertem vergleiche, hat er einen enormen Sprung gemacht, sportlich und persönlich. Ich bin mir deshalb sicher: Wenn er irgendwo unterkommen würde, würde er jahrelang in diesem Bereich fahren können. Manchmal ist es jedoch schwer, überhaupt unterzukommen und sich beweisen zu können.
Wie hat er sich in vier Jahren unter Ihnen entwickelt?
Grabsch: In seinem ersten U23-Jahr fuhr er häufig blauäugig die Radrennen. Er attackierte ohne Plan und hat dadurch einfach unnötig Körner rausgehauen. Er wurde aber speziell von Pascal Ackermann (heute im Team von Bora-Hansgrohe, d. Red. ) im ersten Jahr an die Hand genommen. Dabei hat er gelernt. Nun führt und leitet er die Mannschaft. Er nimmt das Team an die Hand und kann die Rennen lesen. Im Bezug auf den Kopf und die Einstellung hat er eine absolute Führungsposition inne. Ich habe speziell bei der Professionalität selten andere Athleten gesehen. Er tut wirklich alles für den Sport.

Wie zufrieden sind Sie mit der Saison von Patrick Haller?

Grabsch: Besonders im Frühjahr war er extrem stark. Im Juni hatte er einen kleinen Durchhänger, weil er krank war. Im zweiten Halbjahr ist er dann wieder gut gefahren. Bei der Tour de l'Avenir, der Tour de France der U23-Fahrer, wäre es aber wichtig gewesen, wenn er in der ersten Hälfte ein extrem gutes Ergebnis eingefahren hätte. Aber das ist leichter gesagt als getan. Weil dort alle Top-Fahrer versammelt sind, manche haben später ja sogar die Tour de France gewonnen.
Besonders bei der vierten Etappe wäre deutlich mehr drin gewesen als der siebte Platz.
Grabsch: Da haben sie alles falsch gemacht, was man falsch machen kann (Das deutsche Team hatte als einzige Nation zwei Fahrer unter den acht Ausreißern, belegte am Ende jedoch die Plätze sieben und acht, d. Red. ). Aber das gehört auch zum Lernprozess eines jungen Fahrers dazu, dass man Fehler macht. Am nächsten Tag wurde er im Massensprint Neunter. Das heißt: Er hat aus dem Vortag gelernt und gezeigt, dass er dies verarbeitet hat und er sprinten kann.

Was fehlt ihm noch?
Grabsch: Ein Sieg auf internationaler Ebene. Das hätte ihm frühzeitig den Kopf freigemacht und dann wären die anschließenden Rennen ein Selbstläufer gewesen. Das Potenzial bringt er mit. Deshalb wäre es sehr bitter, wenn es nur daran scheitern sollte, falls er keinen WorldTour-Vertrag erhalten sollte.

Ist Patrick am Druck, ein Top-Ergebnis liefern zu müssen, verkrampft?
Grabsch: Nein, nach außen hin nicht. Das Gefühl hatte ich nicht. Er war locker drauf. Wie es dagegen innerlich aussieht, kann nur der Sportler selbst sagen. Aber ich glaube, auch da war alles in Ordnung. Mit einer Verkrampfung hätte er eine so tolle WM nicht gefahren. Er war in der Spitzengruppe vorne dabei. Mit etwas Glück wäre die Gruppe durchgekommen, dann wäre er auch dort ganz vorne mit dabei gewesen.

Überraschend wechselt nun Hallers Teamkollege Juri Hollmann in die WorldTour, mit erst 20 Jahren und Ergebnissen, vor denen sich Haller nicht verstecken muss.
Grabsch: Es freut mich für Juri, aber er ist noch nicht so komplett, dass er in der WorldTour diesen Weg gehen könnte. Stattdessen hätte ich mir den Platz für Patrick anstelle von Juri gewünscht. Patrick wäre soweit, diesen Schritt zu gehen. Juri hätte noch mindestens ein Jahr gebraucht, um zu lernen und sich zu entwickeln. Aber das ist eben der Sport. Ich kenne viele Fahrer, die auf hohem Niveau waren und Schwierigkeiten hatten, den nächsten Schritt zu gehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Jonas Koch. Er hat Jahre gebraucht, um in die WorldTour hineinzurutschen. Dann hatte es endlich geklappt und ein Jahr später war er wieder drauf und dran, dass er in dieser Saison erneut für uns fährt, also zwei Schritte zurückgeht. Aber dann hatte er vor Weihnachten das Glück, dass er bei CCC unterkam. Manchmal helfen einem dann auch wieder glückliche Umstände.

Welcher Weg seiner beiden Teamkollegen ist für Haller denn nun realistischer: Dass es ihm so ergeht wie Hollmann oder wie Jan Tschernoster, der im September seine Karriere beendet hat?
Grabsch: Mit Jan kann man das nicht vergleichen. Er hatte einfach nur Pech, vor allem gesundheitlich. Das muss man klar differenzieren. Patrick hat die Schwierigkeiten bei einem Team unterzukommen. Patrick fährt stetig auf hohem sportlichen Niveau. Es fehlt einfach der letzte Kick, der Sieg, den man braucht und der einem einen Schub gibt. Den hat er einfach nicht. Das sind Kleinigkeiten, die aber viel ausmachen. Die Möglichkeiten sind aber trotz allem noch da, dass Patrick seinen Weg gehen kann.

Das Interview führte
Timo Schoch.