"Es gibt noch einen Akzeptanzkampf"

Am 19. Januar 1919 hatten Frauen bei der deutschen Nationalversammlung zum ersten Mal das aktive und das passive Wahlrecht, am 12. Januar des selben Jahres bei der bayerischen Landtagswahl. Neuburg-Schrobenhausens Dritte Landrätin Sabine Schneider hätte vor 100 Jahren auch ihre Stimme abgegeben. Bei der Gleichberechtigung in der Politik sieht sie aber noch Luft nach oben - auch im Landkreis.

11.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:52 Uhr
Hofft künftig auf mehr Frauen in der Kommunalpolitik: Neuburg-Schrobenhausens Dritte Landrätin Sabine Schneider. −Foto: Janda

Am 19. Januar 1919 hatten Frauen bei der deutschen Nationalversammlung zum ersten Mal das aktive und das passive Wahlrecht, am 12. Januar des selben Jahres bei der bayerischen Landtagswahl. Neuburg-Schrobenhausens Dritte Landrätin Sabine Schneider hätte vor 100 Jahren auch ihre Stimme abgegeben. Bei der Gleichberechtigung in der Politik sieht sie aber noch Luft nach oben - auch im Landkreis.

Frau Schneider, wenn Sie vor 100 Jahren gelebt hätten, hätten Sie Ihre Stimme abgegeben?

Sabine Schneider: Natürlich hätte ich gewählt, weil ich es als meine Bürgerpflicht gesehen hätte.

Wie hat sich der Einfluss der Frauen auf die Politik seither verändert?

Schneider: Auf bundespolitischer Ebene sind mit rund 36 Prozent relativ viele Frauen vertreten. Es ist aber schade, dass immer noch nicht der Ausgleich geschaffen ist, besonders in der Kommunalpolitik. Im Kreistag haben wir neun Frauen, im Neuburger Stadtrat sechs und im Schrobenhausener gerade einmal zwei. Das finde ich schon beschämend. Das Problem liegt auch an den Frauen, die ihresgleichen nicht wählen.

Inwiefern?

Schneider: Die Vereinbarkeit von Beruf und Haushalt ist für Frauen noch immer ein Problem. Nach der Arbeit stehen meist noch Dinge wie Bügeln, Kochen oder Waschen auf dem Programm und da bleibt wenig Zeit, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Aber die Frauen vertreten sich auch selbst schlecht, beispielsweise in Vereinen. Da stehen noch immer überwiegend Männer an der Spitze - wobei sich dennoch etwas tut, denn wer hätte vor etwa 15 Jahren gedacht, dass es bei uns einmal Feuerwehrkommandantinnen gibt.

Im Landkreis steht nur in einer Gemeinde eine Frau an der Spitze: Mathilde Ahle in Langenmosen.

Schneider: In dieser Position würde ich mir mindestens 40 Prozent Frauenanteil wünschen, weil damit auch der Gemeindetag ausgeglichener wäre. Im Kreistag wäre es ebenfalls schöner, wenn mehr Frauen vertreten wären. Dann könnten auch mehr soziale und umweltpolitische Themen eingebracht werden, denn darin sind Frauen sensibler, ebenso in Sachen Bildung.

Es ist also noch Luft nach oben?

Schneider: Definitiv.

Auch wenn der Unterschied heute geringer ist, als früher: Es gehen immer noch weniger Frauen zur Wahl als Männer. Auch bei Wahlveranstaltungen oder Bürgerversammlungen sind sie in der Unterzahl. Woran liegt das?

Schneider: Bis 1919 gab es gar keine Diskussion darüber, ob eine Frau wählen darf, oder nicht. Ein Wechsel in der Denke dauert einfach eine gewisse Zeit, das kann man nicht in zehn Jahren übers Knie brechen. Ein Beispiel: Wir hatten eine Diskussion über Asylbewerber, genauer gesagt haben sich Menschen beschwert, dass Asylbewerber ihren Müll nicht richtig trennen. Dann habe ich gesagt: Liebe Leute, wie lange habt ihr gebraucht, bis ihr eure Mülltrennung richtig gemacht habt? Das ging auch nicht von heute auf morgen.

Die Einführung des Frauenwahlrechts war damals ein Kampf. Müssen Frauen heute noch immer um ihre Meinung und ihren Einfluss kämpfen?

Schneider: Es gibt sicherlich noch einen Akzeptanzkampf. Ich habe das selbst gemerkt, als ich als weitere stellvertretende Landrätin angefangen habe. Da steht man zunächst nicht so hoch in der Wertschätzung, wie ein Mann in solch einer Position.

2014 wurden Sie einstimmig zur Dritten Landrätin des Kreises Neuburg-Schrobenhausen gewählt. Könnte das als Zeichen für den Wunsch nach mehr Gleichberechtigung gewertet werden?

Schneider: Ein wärmendes Gefühl war für mich dabei die einstimmige Wahl. Aber natürlich ist das Ganze auch einem Taktieren geschuldet. Nach der Wahl von Alois Rauscher zum stellvertretenden Landrat, hat damals aus Roland Weigerts Sicht eine Frau im Team gefehlt und er wollte zugleich, dass die drei stärksten Parteien im Kreistag vertreten sind. Das hat auch mit dem Hintergedanken zu tun, dass man seine Interessen besser durchsetzen kann, wenn alle ein bisschen mitmischen können.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, benachteiligt zu werden?

Schneider: Innerhalb der SPD-Fraktion hat es da noch nie etwas gegeben. Natürlich wurde ich am Anfang distanziert betrachtet. Wie verhält sie sich? Welche Meinung hat sie? Traut sie sich was? Als es vor Kurzem um die Haushaltsverschiebung im Kreistag ging, habe ich mich mit sachlichen Argumenten dagegen ausgesprochen, weil wir vor Ende Juni wohl keinen genehmigten Haushalt haben und das ist für mich zu spät. Da haben dann ein paar aufgemerkt und gesagt, dass sie es aus dieser Sicht noch nicht betrachtet hätten. Man merkt dann schon, dass man mehr wahrgenommen wird.

Wie setzt man sich als Frau in dieser Männerdomäne durch?

Schneider: Diplomatie ist sehr wichtig. Und niemanden zu brüskieren, ebenso wie Beharrlichkeit. Man muss nicht bei jedem Thema stur sein, aber man muss schon seine Themen suchen, die einem wichtig sind, um beharrlich zu bleiben. Immer nur gegen etwas zu reden, bringt gar nichts.

Mit welchen Eigenschaften punkten Sie persönlich?

Schneider: Ich bin von Haus aus ein sehr offener Mensch, niemand der reserviert wirkt. Ich setze mich auch nicht mit verschränkten Armen hin, lasse die Leute also an mich heran. Viele gute Zusprüche kamen auch aus der Verwaltung. Wenn sie ein größeres Problem hatten - nicht nur zum Thema Frau - sind sie auch mal zu mir gekommen. Generell muss man sich schon ein bisschen mehr anstrengen als ein Mann, aber ein gewisser Lernprozess ist auch wichtig. Das habe ich selbst erlebt. Früher habe ich oft viele Entscheidungen, die getroffen wurden, nicht verstanden. Heute ist das ganz anders.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Weiblichkeit in der Politik weiterentwickeln?

Schneider: Wir machen gerade in Bezug auf die Wahlen in der vergangenen Zeit ein paar Rückschritte. Ich hoffe, dass das nur ein kleines, vorübergehendes Tief ist. Mein größter Wunsch ist, dass wir in 30 Jahren die Gremien fast paritätisch besetzt haben. Aber so leicht wird das nicht.

Wie stehen Sie zu einer Frauenquote, um die Gleichstellung voranzutreiben?

Schneider: Ich war anfangs ein Gegner der Frauenquote, weil ich mich als Restefrau gesehen hätte, nur weil das Gesetz es vorschreibt, den Platz aufzufüllen und nicht aufgrund der persönlichen Qualität. Aber man sieht auch, wie schleppend es vorangeht mit der Gleichstellung - wobei es politisch schon besser läuft, als beruflich. Aber ohne Quote würde wir noch wesentlich länger brauchen.

Warum haben Sie sich für den Gang in die Politik entschieden?

Schneider: Zum einen war es die Neugier. Ich habe schon immer Zeitung gelesen, mich informiert, wollte wissen, was los ist, was beschlossen wird und auch, wie die politischen Entscheidungsprozesse funktionieren. Der andere Grund war der Tod meines Mannes. Ich bin zu Hause versauert und Michael Kettner hat dann zu mir gesagt: "Sabine, mach' doch mit in der Politik, dann kommst du wieder unter die Leute." Und so war es dann auch.

Das Gespräch führte
Katrin Kretzmann.
Zur PersonDie politische Karriere von Sabine Schneider begann 2009. Damals zog die heute 52-Jährige als Nachrückerin von Karl-Heinz Katzki in den Kreistag ein. Fünf Jahre später wurde sie als Dritte Landrätin neben dem damaligen Amtsinhaber Roland Weigert und Stellvertreter Alois Rauscher einstimmig gewählt. Hauptberuflich arbeitet die Neuburgerin im Qualitätsmanagement des Futtermittelherstellers Trouw Nutrition.