stadtgeflüster
Es gibt ein Leben ohne Dauerwelle

19.11.2020 | Stand 01.01.2020, 3:34 Uhr

Es sind diese grundlegenden Fragen des Lebens, die seit jeher das Menschengeschlecht umtreiben: Woher kommen wir?

Wer sind wir? Wohin gehen wir? Sodann aber auch: Wie darf ich schneiden? Auf welche Länge? Mit Schere oder Maschine? Mit Übergang im Nacken? Die Kompresse kalt oder warm? Selbst als Best Ager über 60 steht man noch Tag für Tag, zumindest alle sechs Wochen vor schwierigen Entscheidungen, um nicht zu sagen Herausforderungen. Man ist gefühlt dreimal so alt wie die wechselnden Friseurinnen im Stammsalon, muss die ergrauten Restbestände seines ehemals vollen Haarschopfes irgendwie fachlich einwandfrei verwalten lassen, soll sich dazu schneidetechnisch auskennen und möchte sich doch am liebsten in aller Freizügigkeit erklären: "Ach Frollein, machen Sie einfach das Beste draus! " Okay, Fräulein sagt man besser nicht mehr, sonst wird man wegen fortschreitender Altersdemenz gleich aus der Kundenkartei gestrichen. Noch schlimmer wäre allerdings: gnädiges Fräulein.

Freilich ahnten wir bisher nicht einmal ansatzweise, welche Faszination sich hinter den Empfangstheken dieses Marktführers unter den heimischen Coiffeuren auftun kann. Hätte nicht die Kundenzeitschrift eines großen westlichen Einkaufszentrums darüber berichtet, wir hätten wohl nie erfahren, was die neue "Top-Stylistin im Damen- und Herrenfach" so alles draufhat. Haarverlängerung, Farbveränderungen, raffinierte Strähnentechniken, so Sachen. Ob sich da auch im Seniorensegment mit Halbglatze noch was machen lässt? Vielleicht mit Erschwerniszulage fürs Personal? Entscheidungsschwache ältere Kunden müssen auf die neuen Trendfarben durchaus nicht verzichten, wirbt die Top-Stylistin für den mutigen Look: "Das neue Bronde, die Haarfarbe, bei der Sie sich nicht mehr zwischen Blond und Braun entscheiden müssen. " Alte weiße Männer, nicht zuletzt der Nikolaus im Vorfeld seiner ausgedehnten Dienstreisen, sollten sich das mal durch den Kopf gehen lassen.

rh