Konzert
"Es geht um das Geistige, das Metaphysische"

Die Pianistin Katinka von Richter versucht, als Künstlerin neue Wege zu gehen - auf YouTube und auch im Konzert in Ingolstadt

18.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:13 Uhr
  −Foto: Christine Schneider

Paris - "Es ist natürlich besser, wenn man als Kind die Musik aufsaugen kann wie Muttermilch", sagt die Pianistin Katinka von Richter, die am 25. September beim Konzertverein Ingolstadt auftreten wird. So geht es etwa den Kindern bekannter Musiker, die in einem Umfeld ständigen Musizierens aufwachsen.

Bei der gebürtigen Münchnerin Katinka von Richter war es anders. Sie hat zwar schon mit fünf Jahren begonnen, Klavier zu spielen. "Wohl weil ein Klavier einfach da war. Meine Eltern spielten beide aus Liebhaberei", erklärt sie. Aber das Klavierspielen zum Beruf machen? Das war ein Weg voller Hindernisse. "Meine Eltern waren immer dagegen. Sie wollten vor allem, dass ich Abitur mache, um etwas Vernünftiges studieren zu können." Die Aufnahmeprüfung für das Klavierstudium hat die Münchnerin heimlich absolviert - und ihre Eltern damit überrascht. "Eigentlich verstehen meine Eltern bis heute nicht dass es für mich keine Alternative gab, weil das Klavier mein Leben ist", erzählt sie.

Dabei ist die 29-Jährige inzwischen irgendwie schon angekommen, gibt regelmäßig Konzerte, ist erfolgreich und anerkannt.

Zumindest war es so vor der Corona-Krise, die sie in Paris erlebte. Dort lebt sie seit vier Jahren mit ihrer vierjährigen Tochter und ihrem Mann, der allerdings in Stuttgart arbeitet. "So sind die modernen Zeiten", sagt sie lachend. Paris ist ihre Wahlheimat, weil sie hier genau das kulturelle Umfeld findet, das sie braucht und das sie inspiriert. Der Weg dahin war weit und verschlungen, führte über Luzern, Lugano, die Toskana, New York und Detmold, wo sie den Lehrer fand, der sie am meisten prägte: Anatol Ugorski. Die Zeit des Lockdowns war für von Richter von Nachdenklichkeit geprägt. Sie hat viel gelesen, Philosophen, Bücher über Komponisten. Zum Klavierspielen fehlte ihr ein Flügel, so übte sie mit einem stummen Instrument und rein mental. Ihr letztes Recital fand drei Tage vor dem Lockdown statt, im ausverkauften Salle Cortot in Paris.

Das Bedürfnis, vor Publikum zu spielen ist geblieben. Wie überhaupt Katinka von Richter nicht glaubt, dass die Live-Konzerte abgelöst werden durch digitale Formate. "Die selbe Diskussion wurde ja schon vor Jahrzehnten geführt, als Glenn Gould sich vom Konzertsaal verabschiedete und nur noch Aufnahmen machte", gibt sie zu bedenken. Aber Live-Konzerte sind doch etwas anderes. Sie jedenfalls braucht das Publikum, die Spannung, die von den lauschenden Besuchern ausgeht, das hat für sie fast etwas Existenzielles. Das hindert Katinka von Richter jedoch nicht daran, auch online aktiv zu sein. Derzeit plant sie einen ungewöhnlichen YouTube-Kanal mit dem Titel "Instant Piano Paris". Vorbilder gibt es dafür eigentlich kaum. "Ich habe lange gesucht, aber ich fand keinen Kanal, der etwas Ähnliches versucht."

Was ihr vorschwebt, ist eine freie Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und polysensorischer Wirkung von Musik, aber auf eine Art, die auch Menschen etwas gibt, die keine Musiker sind. "Es geht um das Geistige, das Philosophische, das Metaphysische", sagt sie. "Ich erkläre nichts in diesen Videos, ich möchte Inspirationen auf verschiedenen Ebenen vermitteln, auch durch mein Klavierspiel. Keineswegs dienen die Videos der Selbstdarstellung oder der Selbstvermarktung." Vielmehr möchte sie hinter dem Inhalt eher so weit es geht zurücktreten. Ab November startet der Kanal, jede Woche ist ein neuer Beitrag geplant.

Dass von Richter innovative Ideen verwirklichen kann, hat sie bereits bei ihren Konzerten demonstriert. Sie gehört zu den wenigen Musikern, die aus den ausgetretenen Pfaden der klassischen Konzertkultur heraustreten und ihre Auftritte als Performance verstehen. Daran arbeitet sie bereits seit Jahren, auch zusammen mit zeitgenössischen Künstlern, und dafür ist sie mit Preisen ausgezeichnet worden. Auch in Ingolstadt will sie ihr Konzert als Performance präsentieren. Wie genau das ablaufen soll, will sie vorab nicht verraten: "Es soll ja auch eine Überraschung sein."

Auf dem Programm stehen Werke von Chopin, Beethoven, Debussy und auch das höllisch schwere "Islamey" von Balakirev. Das Stück liegt ihr besonders am Herzen. Denn vor Jahren behauptete ein Kollege, dass man an diesem Werk erkennen könne, dass das Klavierspiel von Frauen doch Grenzen kenne gegenüber demjenigen von Männern. "Das stimmt nicht", sagt sie entschieden. In Ingolstadt will sie das demonstrieren.

DK


Katinka von Richter spielt am 25. September, 20 Uhr, im Ingolstädter Festsaal. Auf dem Programm stehen sechs Bagatellen von Ludwig van Beethoven, die Balladen 4 und 5 von Frédéric Chopin, drei Preludes von Claude Debussy und "Islamey" von Mili Balakirev.

Jesko Schulze-Reimpell