Es geht auch ohne Mensch. Oder? - Das Internet der Dinge

08.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:22 Uhr

Das „Internet der Dinge“ verändert unser Leben. Maschinen kommunizieren zunehmend untereinander. Aber: Wie könnte das in Zukunft aussehen? Und: Verlieren wir die Kontrolle? Ein Überblick.

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Früher war ein Computer ein Computer. Ein grauer Kasten, darin ein Haufen Platinen, Chips und Kabel. Dazu ein Monitor, Tastatur und Maus. Aus. Doch das war gestern. Heute steckt in unzähligen Alltagsgegenständen Elektronik. Möglich machen das die Miniaturisierung und die geringen Preise. Das Entscheidende: Immer mehr dieser „Dinge“ sind vernetzt – daher der Name „Internet der Dinge“. Bestes Beispiel derzeit sind sogenannte „Wearables“ – internetfähige Geräte, die man am Körper trägt. Etwa Armbänder oder Uhren, die per GPS-Signal und Bewegungssensoren die persönliche Jogging-Leistung für spätere Analysen aufzeichnen.

Das „Internet der Dinge“ ist also keine Zukunftsvision mehr – wir stehen aber noch am Anfang. Manche sprechen trotzdem bereits von der nächsten digitalen Revolution. Die Vernetzung von Gegenständen ist aber nur ein Aspekt des „Internets der Dinge“. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt, dass die Geräte stetig intelligenter werden und zunehmend Entscheidungen alleine treffen. Anders geht es kaum, sonst werden wir bald in einer Flut von Anfragen unserer Geräte versinken. Im Klartext: Bald befiehlt nicht mehr der Mensch der Maschine, sondern die Maschine der Maschine.

Ein Beispiel: Unser Auto bemerkt von alleine, dass wir nach Hause fahren – daraufhin weist es automatisch die Heizung an, hochzufahren, damit wir es bei der Ankunft mollig warm haben. Vorausgesetzt natürlich, es ist Winter. Kurz bevor wir die Einfahrt erreichen, kommt der Befehl an das Garagentor zu öffnen. Eine Vision, die nicht mehr weit entfernt ist. Laut Prognosen des US-amerikanischen Marktforschungs- und Beratungsunternehmens IDC, sollen 2020 bereits 212 Milliarden Geräte vernetzt sein.

Erste zaghafte Schritte in diese Richtung machten Studenten an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania bereits im Jahr 1982. Weil sie es leid waren, den Weg zum Cola-Automaten umsonst zu gehen – nämlich dann, wenn er leer war –, installierten sie Sensoren in den Automatenschächten und verkabelten das Gerät mit dem Hauptrechner der Abteilung. Fortan wussten sie auch aus der Ferne, wie viel Colareserven ihr Automat noch hat. Als Mitte der 90er Jahre das Internet Einzug hielt, konnte die ganze Welt den Füllstand in Pittsburgh abfragen.

Aus heutiger Sicht eher eine amüsante Randnotiz. Damals sparten die Studenten sich einen kleinen Fußmarsch. Heute kann uns derartige Technik das Leben wesentlich mehr vereinfachen. Sie kann uns Geld sparen und Ressourcen schonen – etwa, wenn Geräte sich automatisch erst dann aufladen, wenn der Strom billig ist oder unsere Heizung sich beim Weggehen von alleine aus- und rechtzeitig vor der Rückkehr wieder einschaltet.

Bei so viel Maschinen-Kommunikation entstehen allerdings Unmengen von Daten. Und die sind für viele Unternehmen von großem Interesse – denn sie sind wertvoll. Längst haben auch Konzerne das „Internet der Dinge“ im Visier. Bestes Beispiel: Google. Im Januar übernahm der Internetgigant die Firma Nest – einen Hersteller von vernetzten Thermostaten für 3,2 Milliarden Dollar. Nest wiederum hat inzwischen ein Unternehmen namens Dropcam übernommen, das internetfähige Videokameras herstellt.

Das „Internet der Dinge“ wird aber nicht nur unser Heim verändern. Viel schneller dürfte es die Wirtschaft umkrempeln. „Die vernetzte Produktion revolutioniert den Industriesektor“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Hightech-Branchenverbandes BITKOM. Laut einer durch den Verband in Auftrag gegebenen Studie sollen bis 2020 in Deutschland dafür rund 10,9 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Noch gibt es aber einige Hürden zu überwinden. Ein Beispiel: Damit die Geräte miteinander kommunizieren können, müssen sie dieselbe Sprache sprechen – was bislang nicht immer der Fall ist. Und es müssen Testumgebungen geschaffen werden. Weil die Industrie die Möglichkeiten längst erkannt hat – vor allem die Logistik-Branche –, wurden bereits verschiedene Vereinigungen gegründet, um Standards festzulegen und die Entwicklung des „Internets der Dinge“ voranzutreiben. In den USA haben sich unter anderem die Technologie-Riesen IBM, Intel, Cisco und AT&T zum Industrial Internet Consortium (IIC) zusammengeschlossen. In Deutschland gibt es mit der Plattform Industrie 4.0 eine ähnliche Vereinigung – im Vorstand sitzen unter anderem Vertreter von Siemens, Volkswagen und SAP.

Dass eine Technik mit derart vielversprechenden Möglichkeiten auch Risiken birgt, versteht sich fast von selbst. Ganz oben auf der Liste: Die Datensicherheit. Hewlett Packard hat im Rahmen einer Studie zehn Geräte aus dem „Internet der Dinge“ untersucht: Fernseher, Webcams, Thermostate, fernsteuerbare Steckdose, Sprinkleranlagen, Türschlösser und Garagenöffner. Insgesamt entdeckten die Experten dabei 250 Schwachstellen. Acht der zehn Geräte sammelten persönliche Daten – etwa Namen, E-Mail- und Postadresse, Geburtsdatum, Kreditkarten- und Gesundheitsdaten. Die Fachleute fanden außerdem zahlreiche Einfallstore für Angriffe von Hackern – beispielsweise schwache Vorgaben für Passwörter oder unverschlüsselte Datenübertragungen in die Cloud.

Der Gedanke, dass wir unser halbes Haus bequem vom Smartphone steuern können, ist schön. Weniger schön ist es, wenn man sich ausmalt, was passieren kann, wenn ein Hacker unser Leben fernsteuert.

Und es geht noch weiter: Auch moralisch-philosophische Fragen werden uns in Zukunft mehr und mehr beschäftigen. Kaum jemand wird ein Problem damit haben, per im Haus installierter Videokamera aus dem Urlaub einmal nach der Katze zu sehen. Aber was ist mit der 17-jährigen Tochter? Oder der dementen Oma? Ist auch das in Ordnung?

Was, wenn uns die Technik zum Verhängnis wird? In einem Mordprozess in Australien spielte vor einigen Wochen ein iPhone eine entscheidende Rolle. Nicht, weil der mutmaßliche Mörder damit telefoniert hatte – sondern, weil die Ermittler bei der Untersuchung des Geräts herausgefunden hatten, dass es mitten in der Nacht zum Laden an die Steckdose gehängt wurde. Der Verdächtige hatte aber behauptet, er habe zu dieser Zeit geschlafen. Sicher, mag man nun einwenden: Da war die Technik doch zu etwas gut. In diesem Fall vielleicht. Aber die Überwachungsmöglichkeiten werden sich vervielfachen. Natürlich gibt es auch hier viele, die großes Interesse an genauen Daten über unser Leben hätten. Autoversicherungstarife, die sich nach dem Fahrstil des Fahrers richten, sind bereits Realität. Und vielleicht weist uns bald morgens die Krankenversicherung per Mail freundlich darauf hin, doch auf die Online-Waage zu steigen. Wer gesünder lebt, zahlt nämlich weniger.

Wir werden sehen. Fest steht: Das „Internet der Dinge“ wird unser Leben wieder einmal verändern. Doch bei allen technischen Helferlein, die uns irgendwann zur Verfügung stehen, sollten wir eines vermeiden: Den Kopf ausschalten.