Ingolstadt
Es geht auch ohne

Ultimate Frisbee verzichtet auf Unparteiische - es dominieren Fairness, Respekt und ein besonderer "Spirit"

20.08.2021 | Stand 23.09.2023, 20:27 Uhr
Jakob Schätzle
  −Foto: Beier, privat

Ingolstadt - Jeder Wettbewerb bringt Gewinner und Verlierer hervor.

Gewinnen will jeder, verlieren wohl kaum jemand. Damit beim Streben nach dem Sieg alles mit rechten Dingen zugeht, installieren Sportarten seit jeher Unparteiische. Zur Neutralität verpflichtet, entscheiden sie strittige Szenen und gewährleisten so, dass auf dem Weg zum Triumph nur die erlaubten Mittel eingesetzt werden und am Ende der rechtmäßige Sieger gekürt wird.

Beim Ultimate Frisbee, kurz Ultimate, geht es auch ums Gewinnen. Das Team, das zuerst 15 Punkte erzielt hat, siegt üblicherweise, das andere verliert. Ein ganz normaler Wettbewerb eben. Was beim Ultimate jedoch fehlt, ist ein unparteiischer Regelhüter. Wettkämpfe, Sieg und Niederlage werden ohne Schiedsrichter entschieden. Wie kann das funktionieren?

"Auch beim Ultimate ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen", stellt David Beier klar. Der Abteilungsleiter beim TSV Ingolstadt-Nord spielt seit über 20 Jahren selbst Ultimate, derzeit mit seinem Team "IN-GO" in der dritten Liga. Rivalitäten zwischen einzelnen Teams, keine neutrale Person auf dem Spielfeld - und trotzdem versinkt ein Ultimate-Spiel nicht im Chaos.

Im Gegenteil: "Jeder Spieler, jede Spielerin ist auch Schiedsrichtender", sagt Franziska Pohl vom Deutschen Frisbeesport-Verband (DFV). "Die Eigenverantwortung aller Aktiven ist hoch und dabei gelingt es auch immer, eine gemeinsame Lösung zu finden. " In der Praxis bedeutet das beispielsweise: Wird ein Spieler aus seiner Sicht gefoult, so "callt" er, macht also auf dieses Foul aufmerksam. Sollte es zu Meinungsverschiedenheiten kommen, wird kurz über die Situation diskutiert. Wenn man sich nicht restlos einigen konnte, so wird der vorausgegangene Spielzug zurückgenommen und das Spiel fortgesetzt.

Der "Spirit of the Game", der Geist des Spieles ist fundamentaler Bestandteil von Ultimate. Im Regelwerk fest verankert, gibt er vor, wie Spieler eine Partie selbst regeln und wie sie sich auf dem Feld benehmen sollen. Kämpferischer Einsatz darf demnach auch beim Ultimate auf den Platz gebracht werden, jedoch nicht auf Kosten der Fairness.

Die Verantwortung dafür liegt bei den Spielern selbst. Daher ist Regelkenntnis eine wichtige Voraussetzung für den Sport, die bereits bei Kindern und Jugendlichen gefördert wird. Beier erklärt, dass Regelkunde jedoch nicht nur in der Theorie stattfindet: "Während eines Turniers erklären erfahrene Spieler den Anfängern die Regeln. So lernt man sie Stück für Stück, vielleicht sogar besser, als wenn ein Schiedsrichter auf dem Feld wäre. "

Dieses hohe Maß an Eigenverantwortung fördert neben der fairen Spielweise und dem respektvollen Umgang mit dem Gegner auch das Selbstvertrauen der Spieler. Schließlich ist die eigene Aussage zu einer strittigen Szene maßgeblich für den weiteren Spielverlauf - im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten, wo die Entscheidungsmacht immer beim Unparteiischen liegt. Ultimate verstehe sich so auch als "Schule für das Leben", wie der DFV auf seiner Website schreibt, denn Werte wie Respekt oder Fairness nehmen die Spieler im besten Fall mit in ihren Alltag.

Nun könnten einzelne Spieler natürlich versuchen, das Fehlen eines Schiedsrichters zum eigenen Vorteil auszunutzen. Dem wirkt die Sportart jedoch entgegen: "Die Frisbee-Gemeinschaft in Deutschland ist wie eine große Familie. Da würde es sich schnell herumsprechen, wenn ein Team die Regeln missbraucht", sagt Beier. Um dem unfairen Spiel zusätzlich vorzubeugen, hat der Sport Schutzmechanismen entwickelt. Zum einen tauschen sich die beiden Teams nach jedem Spiel im "Spirit Circle" aus und geben sich gegenseitig Feedback zur Fairness. Zum anderen gibt es die Spirit-Wertung. Beier erklärt: "Man bewertet nach einem Spiel das gegnerische Team hinsichtlich der Fairness. Wenn ein Team den Turniersieg holt, aber eine schlechte Spirit-Bewertung bekommt, sollte das den Spielern zu denken geben. " Das Team mit dem besten Spirit bekommt einen separaten Preis. Ein Sieg ist also nicht nur in der Punktewertung zu holen.

Spieler als faire und eigenverantwortliche Akteure, eine Feedbackrunde nach Spielende - es drängt sich zwangsläufig die Frage auf, ob sich andere Sportarten vom scheinbar perfekten Ultimate etwas abschauen könnten. "Es wäre schön, wenn die Spieler mehr in die Verantwortung gezogen würden. Grundsätzlich spricht auch nicht viel dagegen, aber dafür ist eine gewisse Kultur nötig, die bei uns der ,Spirit of the Game' sicherstellt", sagt Franziska Pohl. "Ultimate Frisbee hat zusätzlich den Vorteil, dass man praktisch keinen Körperkontakt hat. Wird die Scheibe gefangen, ist unstrittig, wer bis zum nächsten Wurf in Scheibenbesitz bleibt. Zweikämpfe in anderen Sportarten wie Fußball führen hingegen zu ganz anderen Situationen, die wahrscheinlich schwerer selbst zu beurteilen sind. " Pohl unterstreicht jedoch eine Maxime des Ultimate, die sich auf wirklich jede Sportart übertragen lässt: "Lieber mit fairen Mitteln verlieren als mit unfairen Mitteln gewinnen. "

PK

Jakob Schätzle