Landkreis Roth
"Es fehlen die Visionen in der Politik"

Linkenpolitiker Tino Schwarz will im Landtag heute die Grundlagen schaffen, um die Welt in 50 Jahren besser zu machen

02.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:33 Uhr
Auf die Pflege als Topthema im Landtagswahlkampf setzt die Linke. Ihr Direktkandidat Tino Schwarz will jedoch die Ökologie nicht vernachlässigen. In seinem Taxiunternehmen setzt er mittlerweile auf Hybridfahrzeuge, die mit Strom laufen. −Foto: Luff

Georgensgmünd (HK) Er werde einmal Bundeskanzler, hat Tino Schwarz schon als Fünftklässler kess behauptet. Bis dahin ist es noch ein langer und - vor allem für einen Linken-Politiker - wohl äußerst steiniger Weg. Aber mit der Wahl zum 18. Landtag in Bayern im Oktober betritt er zumindest die politische Bühne.

Seine Chancen, das Direktmandat zu gewinnen? "Bis 14.10., 18 Uhr, ist alles möglich", sagt Tino Schwarz und grinst breit. Als er kürzlich den bisherigen Wahlkreisabgeordneten Volker Bauer traf, habe er ihm vorsorglich schon einmal ein Jobangebot unterbreitet: "Am 15. Oktober kann er bei mir als Taxifahrer anfangen." Bauer habe den Scherz mit Humor aufgenommen.

"Ich kann die Chancen schon realistisch einschätzen", sagt Schwarz. Er sieht sich als Zugpferd, damit die Linkspartei ihr Potenzial im Freistaat möglichst optimal ausschöpfen kann. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr erreichte sie in Bayern 5,2 Prozent, mit diesem Ergebnis wäre sie zum ersten Mal im Landtag vertreten. Allerdings ohne ihn, Platz 22 auf der Wahlkreisliste Mittelfranken reicht auch für den kühnsten Optimisten nicht aus. Geht es um sein Wahlziel, spricht Schwarz folgerichtig vom kollektiven "Wir": "Ich glaube fest daran, dass wir die fünf Prozent schaffen." Natürlich würde er sich umso mehr freuen, stünde im Kreis Roth noch das eine oder andere Prozenpünktchen mehr unter dem Strich. Das wäre auch wichtig für ihn, da Schwarz die Kandidatur als Auftakt für eine längere politische Karriere betrachtet: Im November wählt die Linke in Bayern einen neuen Landesvorstand, die Weichen für die nächste Bundestags- und die Kommunalwahl werden auch in nicht allzu langer Zukunft gestellt. Schwarz will mitmischen.

Weiterhin bei den Linken, nicht bei der SPD, wie er betont. Auch wenn sein Namensvetter Ben Schwarz, bekanntermaßen SPD-Bürgermeister von Georgensgmünd, ihn im Fitnessstudio schon von den Vorzügen der Sozialdemokraten überzeugen wollte, wie Tino Schwarz erzählt. "Es gibt keine 100-prozentige Übereinstimmung, zu niemandem", sagt er über seine Meinung und die Programme der Parteien. Bei den Sozialdemokraten - "die schaffen sich doch gerade selbst ab" - stört er sich vor allem an zwei Dingen: "Ich bin absoluter Pazifist", sagt Schwarz. Waffenexporte, höhere Rüstungsausgaben: mit ihm nicht zu machen. Und dann der Dauerbrenner HartzIV, der Stachel im Fleisch selbst linker SPD-Anhänger. "Das ist doch gemacht für die, die arbeiten", sagt Schwarz überzeugt. Und erklärt: Damit könnten diejenigen auf der Sonnenseite des Lebens zu den anderen sagen: "Seht her, so kann's gehen, wenn ihr nicht spurt." Und Widerstand im Keim ersticken.

Beide Themen sind allerdings Sache der Bundesebene, Tino Schwarz bewirbt sich für ein Landtagsmandat. Und ist hier in vielen Ansichten nicht weit entfernt von Meinungen, die man gemeinhin auch der SPD oder den Grünen zuschreibt. Im schwarz regierten Bayern habe die Linke "ein komisches Image, gerade bei Älteren" hat er im Wahlkampf festgestellt. Und sich gefreut, als eine Seniorin am Ende eines Gesprächs feststellte: "So schlimm sind die gar nicht."

Der Öffentliche Personennahverkehr sollte ihm zufolge massiv ausgebaut werden, so dass er auch auf dem Land eine wirkliche Alternative zum Auto wäre. Nicht in den vorhandenen Strukturen. "Die orientieren sich am Schulbus." Weil der einmal am Tag voll ist, werde dieselbe Linie noch mehrmals am Tag bedient, zu festen Zeiten, auf der festgelegten Strecke. "Da fährt der Bus dann acht Mal leer." Es brauche völlig neue Konzepte, unkomplizierte Lösungen für den kleinen Rufbus. Denn: "Ein Taxi kann sich ja auch kaum jemand leisten." Sagt der Taxiunternehmer, der "von einer Welt ohne Autos" träumt, wie er sagt.

Beispiel Schule: "Das Bildungssystem müsste ganz weg", sagt Schwarz, es in sich zu reformieren, funktioniere nicht. Das dreigliedrige Schulsystem hätten weltweit neben Deutschland nur noch zwei Staaten: Österreich und Nordkorea, "das sagt doch alles". Schule müsse man völlig neu denken: kleine Klassen, einen - auch durch massiven Einsatz digitaler Medien - individuell zugeschnittenen Unterricht und nicht zuletzt neue Lerninhalte wie dem Ungang mit dem Handy - "warum sperrt man das aus?" Er fordert massive Investitionen in die frühkindliche Bildung, "jeder Euro hier spart 60000 Euro Folgekosten".

Individueller soll nach Tino Schwarz' Vorstellung auch die Pflege gestaltet werden, die Tendenz gehe weg vom stationären Aufenthalt. Dafür müsste es jedoch weitaus mehr ambulante Pflegedienste geben als bisher, die zudem nicht unter dem Druck stehen dürften, immer preisgünstiger zu arbeiten. Was den ökologischen Gedanken betrifft, stellt ihn der Kandidat mehr heraus als seine Partei. "Ich will mehr Gewicht darauf legen", sagt er. Als Taxifahrer setze er auf Strom als Antrieb.

An der Politik der etablierten Parteien in Deutschland stört Schwarz einiges: Dass sie die Banken weitermachen lässt wie vor der Finanzkrise 2008. Dass sie die Betreiber der Atomkraftwerke günstig beim Umgang mit den Altlasten davonkommen lassen will. Dass sie die Autoindustrie schont, obwohl "VW uns alle vergiftet - und nicht nur VW, wie wir heute wissen".

Vor allem vermisst er Visionen. "Wo wollen wir hin?" Zurzeit herrsche der Eindruck vor, alle wollten lediglich zurück zur vermeintlich guten alten Zeit. Diese Einstellung ist für ihn auch eine Wurzel des um sich greifenden Rassismus': "Was mir wirklich Angst macht, ist der rechte Mob, der zurzeit hochkommt." Dabei müsste man den Menschen nur eine Perspektive geben, statt die Schwächeren abzuhängen. Deutschland habe ganz andere Probleme als die Flüchtlinge: "Warum wird bei uns nicht über Vereinsamung gesprochen?", fragt Schwarz. "In Großbritannien gibt es dafür sogar ein Ministerium."

Um die Welt in 50 Jahren besser zu machen, müsse man heute handeln - an vielen Stellen. Schwarz sieht sich die Hausdächer der Umgebung an. Die meisten sind leer, ohne Photovoltaik. "Ein neues Haus muss sich energetisch zu 80 Prozent selber tragen", fordert er. Hierfür solle es staatliche Zuschüsse geben, "dann brauchen wir auch keine riesigen Stromtrassen mehr". Und dann schiebt er noch den klassischen Satz hinterher, der ihn - so viel Vorurteil darf sein - als wahren Linkenpolitiker ausweist: "Geld ist im Überfluss da - über die Verteilung muss man reden."ZUR PERSONGeboren ist Tino Schwarz im November 1986 - also noch in der Zeit der ehemaligen DDR - im thüringischen Zeulenroda, im deutsch-deutschen Grenzgebiet. Seine Schulzeit verbrachte er im Vogtland, wo er 2003 auch mit der Mittleren Reife die Schule verließ. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zog er 2007 nach Georgensgmünd, wo sein Arbeitgeber eine neue Filiale eröffnete. Alternativ hätte er damals nach Hamburg gehen können, aber "ich war schon immer ein Landkind", sagt der knapp 32-Jährige.

Weil der Lohn nicht allzu üppig war, entschloss sich Schwarz 2009, nachts Taxi zu fahren - für das Unternehmen, das er schließlich im Mai von seinem früheren Chef übernahm; so kam es, dass er heute selbstständiger Unternehmer ist. Dass er damit in der Linkspartei eher ein Exot ist, ficht ihn nicht an: "Die Blockade ist nur bei anderen im Kopf. " Ohne parteipolitisch bislang großartig in Erscheinung getreten zu sein, bezeichnet sich Schwarz als politischen Menschen. Das habe wohl mit seinem Opa, bei dem er als Kind viel Zeit verbracht habe, zu tun, mutmaßt er. Denn dieser habe ihn immer vor die Wahl gestellt, entweder nach dem "Sandmännchen" zu Bett zu gehen oder noch die "heute"-Nachrichten zu sehen: "Kein Kind geht gerne ins Bett. " Ausgerechnet der Großvater war jedoch auch entsetzt, als sich Tino Schwarz für die Linke entschied: "Zu den Kommunisten willst du? Bist du verrückt? ", habe er gesagt.

Verheiratet ist Schwarz seit Mai 2018, sein sechsjähriger Sohn aus einer früheren Beziehung lebt bei der Mutter.

luf