Pfaffenhofen
Erzählen für das Leben

Katharina Hartwell gewinnt mit "Das fremde Meer" den Jungen Literaturpreis Pfaffenhofen

29.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:37 Uhr

Katharina Hartwells Thema ist die Liebe - Foto: Kopetzky

Pfaffenhofen (DK) Die drei jungen Autoren, die am Freitagabend in der Kulturhalle Pfaffenhofen aus ihren Debütromanen lasen, waren im Grunde genommen bereits Gewinner im Rennen um den 3. Jungen Literaturpreis Pfaffenhofen. Waren sie doch aus 15 Debüts des diesjährigen Bücherherbstes für die Endrunde von Lyriker und Literaturkritiker Nico Bleutge und Dorle Kopetzky, Literaturagentin und Mitglied des Neuen Kunstvereins Pfaffenhofen, nominiert worden, in je 15-minütigen Lesungen ihre Werke dem Publikum und einer Jury vorzustellen.

Dazu kam das Werkstattgespräch auf der Bühne mit Nico Bleutge, der den Abend moderierte, um die neuen Stimmen der deutschen Literatur vorzustellen. Dennoch war die Entscheidung, wie die von der Hallertauer Volksbank gestifteten Preisgelder verteilt werden sollten, nicht leicht.

Auch wenn am Ende die 1984 in Köln geborene Katharina Hartwell mit „Das fremde Meer“ die 1500 Euro Preisgeld mit nach Hause nehmen konnte – vor Stefanie de Velasco mit „Tigermilch“ (2. Preis dotiert mit 1000 Euro) und Roman Ehrlich mit „Das kalte Jahr“ (500 Euro) – waren es drei aufregende und bereits eigenwillige und reife Debüts.

So unterschiedlich sie von Stil und Thema auch waren, stand aber stets das Erzählen im Mittelpunkt.

Am deutlichsten bei Katharina Hartwell, die, wie sie auch im Werkstattgespräch mit Nico Bleutge sagte, über das Erzählen schreiben wollte und dafür ein klammerndes Thema suchte. Das wurde die Liebe. Aus zehn Geschichten, eingeteilt in drei Kapitel, entsteht der Roman in einer Scheherazade-Situation – Erzählen, um am Leben zu bleiben. Die Geschichten entführen in alle Prosa-Genres, vom Märchen über die Utopie zum historischen Roman, durchschreiten Zeit und Raum und sind fest verankert in der Liebesgeschichte von Jan und Marie. „Alles ist mit allem verbunden.“: Dieser Satz des Physikers John Wheeler, eines der Begründer der Quantentheorie, steht als Motto ebenso voran wie Sigmund Freuds „Liebe ist Heimweh“. Hartwell, Absolventin des Leipziger Literaturinstituts, lässt nachdenken über Zustände des Menschseins, wie am Beispiel der Patienten der „Salpêtrière“, im 19. Jahrhundert die führende psychiatrische Klinik, und webt mit stringenten und klaren Sätzen ein erzählerisches, novellenartiges Gewebe, das nicht mehr loslässt, das den Blick freigibt auf Möglichkeiten und Grenzen des Menschseins.

Erste Liebesgefühle in der Großstadt Berlin, das Erwachsenwerden Jugendlicher, im Mittelpunkt die Protagonistinnen Nini und Jameelah – erzählt Stefanie de Velasco in „Tigermilch“. Den Roman widmet sie eingangs zwar „Für Mädchen“ und schreibt konsequent aus der Perspektive Ninis und in deren Sprache. Doch ist dieser geradlinig erzählte Plot so hochaktuell wie brisant: Jameelahs Familie ist von Abschiebung bedroht, ihr Freund Amir hat Angst, wenn es knallt, flüchteten er und seine Familie vor den Kriegsgräueln im ehemaligen Jugoslawien. Jeder und jede in der Clique aus der Plattenbausiedlung trägt an seiner Geschichte, an Vergangenheit und Gegenwart. Beides lässt nachdenken darüber, welche Welt heute Kinder und Jugendliche erwartet. Dabei verhandelt de Velasco all jene Fragen des Erwachsenwerdens, „die es in jeder Generation gibt“, wie es die 1978 in Oberhausen geborene im Gespräch mit Bleutge betonte.

Vergangenheit und Gegenwart fängt auch der 1983 in Aichach geborene und in Neuburg an der Donau aufgewachsene Roman Ehrlich ein. Der Absolvent des Deutschen Literaturinstituts Leipzig erzählt in „Das kalte Jahr“ kunstvoll-subtil von der Einsamkeit der Menschen und verwebt ebenfalls Geschichten der Vergangenheit, Erzählungen über deutsche Auswanderer in den USA, mit der Gegenwart seines Protagonisten. Den lässt er sein Leben in der Stadt aufgeben, zurückkehren in das Haus seiner Eltern, die dort nicht mehr sind. Mit den Auswanderergeschichten will sein Ich-Erzähler Kontakt aufnehmen zu dem verschlossenen Jungen, Richard, der im ehemaligen Kinderzimmer des jungen Mannes alleine lebt und bastelt. Rätselhaft bleibt auf der Erzählebene bis zum Schluss, wer dieser Junge ist, wo die Eltern geblieben sind. Was bleibt, ist die Kälte, die äußere in einem schneereichen und dunklen Winter, und jene, die die einsamen Menschen umfängt, die sie ausstrahlen.

Kraftvolle neue Romane alle drei, die da in Pfaffenhofen ausgezeichnet wurden, die unbedingt gelesen werden sollten, wie es Wilfried Gerling, Vorstandsvorsitzender der Hallertauer Volksbank, bei der Überreichung der Preise empfahl. „Tigermilch“ und „Das kalte Jahr“ stehen übrigens auch auf der Shortlist des „Aspekte“-Literaturpreises für das beste literarische Debüt des Jahres 2013.