Ingolstadt
"Erst mal die Ferien genießen"

26.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:49 Uhr

Ingolstadt (DK) Am Freitag ist es soweit: Die bayerischen Schüler erhalten ihre Zeugnisse. Für den einen oder anderen könnte das eine unangenehme Überraschung bedeuten. Die Schulpsychologinnen Katrin Lüers und Sigrid Kroker erklären, wie sich Eltern in so einer Situation verhalten sollen.

Eines steht für Katrin Lüers vom Reuchlin-Gymnasium fest: "Schimpfen kann man sich sparen. Es ist schlimm genug für den Schüler, wenn er schlechte Noten nach Hause bringt." Auch Sigrid Kroker, Schulpsychologin der Grundschule an der Münchener Straße, ist der Meinung: "Die Schüler haben gleich zwei Probleme: Sie sind selber enttäuscht und müssen auch noch ihren Eltern von den schlechten Noten erzählen."

 
Deshalb sei es das Beste, das Zeugnis erst mal für einige Zeit beiseite zu legen. "Drei Wochen sollten die Kinder einfach ihre Ferien genießen und sich nicht mit der Schule beschäftigen", erklärt Kroker. Danach sollten die Eltern versuchen herauszufinden, wo die Gründe für die schlechten Leistungen liegen, und was man im nächsten Schuljahr alles besser machen könne.

Dabei stehen sie aber nicht ohne Hilfe da. "Ursachenforschung kann man nicht alleine betreiben", erklärt die Schulpsychologin des Reuchlins, die nebenbei noch Englisch unterrichtet. Die Probleme seien vielseitig: Schwierigkeiten mit Lehrern, Eltern oder Schülern, im Allgemeinen alle Probleme, die das schulische Leben beeinflussen. Oft werden Schüler von Eltern oder Lehrern zu den Sprechstunden von Lüers geschickt. "Dann frage ich sie immer, ob sie freiwillig da sind. Ich kann niemanden zwingen zu bleiben. Aber bis jetzt ist keiner wieder gegangen." Das Gespräch bleibe vertraulich. "Wenn sich Schüler aus der fünften oder sechsten Klasse bei mir melden, informiere ich die Eltern, damit sie Bescheid wissen", begründet sie die Ausnahme.

An der Grundschule an der Münchener Straße wenden sich vor allem die Eltern an die Psychologin. Zur Übertrittszeit sei sie sehr gefragt. "Das beschäftigt die Eltern sehr. Sie haben Angst, dass ihr Kind es nicht auf das Gymnasium oder die Realschule schafft. Da wird mit Beginn der vierten Klasse schon so sehr Druck aufgebaut, dass man von einem Grundschulabitur sprechen kann."

In den Sitzungen, die mit Schülern, Eltern oder Lehrern stattfinden können, werde lösungsorientiert gearbeitet. "Der Schüler formuliert sein Ziel, worauf wir dann zusammen hinarbeiten," schildert Lüers. Wichtig ist laut Kroker, dass man konstruktiv arbeitet und den Kindern zeigt, wo ihre Talente liegen. Als "Schatzsuche" sehe sie ihre Arbeit.

In den Grundschulen werden bei Lernproblemen mit Hilfe von Tests die kognitiven Fähigkeiten ermittelt. An weiterführenden Schulen könne ein Lernpsychologe hinzugezogen werden. "Dieser beschäftigt sich intensiv mit dem Schüler und bringt ihm die richtigen Lerntechniken bei", erläutert Katrin Lüers. Zwar lernen die Fünftklässler am Reuchlin-Gymnasium das richtige Lernen ("Lernen lernen"), "aber es kommt immer wieder vor, dass sich Neuntklässler an mich wenden, weil sie nicht mehr zurechtkommen".

Die Gründe für die Lernschwierigkeiten können aber auch woanders liegen. "Es ist möglich, dass andere Probleme wie eine Scheidung der Eltern oder ein Todesfall in der Familie die schulischen Leistungen beeinflussen," sagt Lüers. Um diese aufzudecken lässt Sigrid Kroker die Eltern erst einmal reden: "Sie sollen von der Schwangerschaft, der Geburt und der Entwicklung des Kindes erzählen. Da fallen irgendwann Sätze wie " . . . als der Vater uns verlassen hat." Dann hat man schon einen Ansatzpunkt."

Lüers arbeitet außerdem mit dem Beratungslehrer eng zusammen. Bei Fragen, die die schulische Laufbahn betreffen, werden die Jugendlichen an ihn weitergeleitet. Einen Ansturm gibt es laut der Schulpsychologin des Reuchlin-Gymnasiums kurz vor den Zeugnissen aber nicht: "Das kommt phasenweise. Im Moment ist nicht mehr los als sonst auch. Wahrscheinlich kommt das am letzten Schultag." Dafür wird am Freitag am Reuchlin ein Krisentelefon eingerichtet.